Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Voraussetzung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer
Orientierungssatz
1. Jedenfalls bei sozialgerichtlichen Verfahren, die nach dem 3. Dezember 2011 abgeschlossen wurde, setzt ein Anspruch auf Entschädigung wegen einer überlangen Verfahrensdauer die vorherige Erhebung einer Verzögerungsrüge voraus, wobei die Rüge unverzüglich, mithin im Rahmen einer angemessenen Überlegungsfrist, erhoben werden muss.
2. Die Unangemessenheit einer Verfahrensdauer kann nicht in einem pauschal festgelegten Zeitraum bemessen werden. Insbesondere können Verzögerungen im Verfahren, die auf das Verhalten der Partei zurückzuführen sind (hier: verspätete Einreichung der Berufungsbegründung) nicht die Annahme einer unangemessene Verfahrensdauer begründen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.
Tatbestand
Die Kläger begehren Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens - S 127 AS 19616/09 - (Sozialgericht - SG - Berlin) und des insoweit anhängigen Berufungsverfahrens - L 34 AS 82/13 - (Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg).
Die in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Kläger stehen im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Streitig war und ist zwischen ihnen und dem Jobcenter F.-K. (JC) ua für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Juli 2005, bei welchem der Kläger das bezogene Kindergeld anzurechnen ist und ob Kosten einer Monatskarte der Kläger zu 2) und 3) berücksichtigungsfähig sind. Ferner begehrten die Kläger die Bescheidung eines Überprüfungsantrags. Auf die Bescheide des JC vom 20. April 2009 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 24. Juni 2009 (Leistungszeiträume vom 1. Januar 2005 bis 31. Juli 2005) erhoben die Kläger am 28. Juni 2009 Klage, über die das SG mit Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 2012, zugestellt am 11. Dezember 2012, entschied (- S 127 AS 19616/09 -). Das Berufungsverfahren (- L 34 AS 82/13 -) ist bei dem LSG seit 10. Januar 2013 anhängig. Die Kläger legten die erbetene Berufungsbegründung am 9. Dezember 2013 vor (Schriftsatz vom 4. Dezember 2013). Das JC erwiderte hierauf mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2013, eingegangen am 27. Dezember 2013. Die Kläger nahmen diesbezüglich mit Schriftsatz vom 7. Februar 2014 Stellung. Der Berichterstatter verfügte das Verfahren unter dem 3. März 2014 in das “ET-Fach„.
Die Kläger haben am 5. November 2013 Klage auf “Schadenersatz für ein überlanges Gerichtsverfahren„ geltend gemacht, wobei sie jeweils 100,- € pro Person und Monat sowohl für materielle als auch für immaterielle Schäden rückwirkend seit Klageerhebung begehren. “Normal„ sei pro Instanz eine Dauer von sechs Monaten.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, ihnen wegen unangemessener Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens - S 127 AS 19616/09 - und des Berufungsverfahrens gegen das Jobcenter F.-K. - L 34 AS 82/13 - eine Entschädigung von jeweils 200,- für jeden Monat der Verzögerung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage bereits deshalb für unbegründet, weil die Kläger bezogen auf das erstinstanzliche Verfahren nicht unverzüglich nach In-Kraft-Treten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl I S 2302) am 3. Dezember 2011 eine Verzögerungsrüge erhoben hätten. Sie hätten dies im Übrigen bislang überhaupt nicht getan.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Gerichtsakte und die Akten des Verfahrens S 127 AS 19616/09 - L 34 AS 82/13 haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sowie die §§ 183, 197a und 202 SGG, jeweils in der Fassung des GRüGV vom 24. November 2011 (BGBl I S 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl I S 2554). Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt es sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch iSv Art. 34 Grundgesetz (GG). Es ist daher nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern vorliegend der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Denn die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in § 202 Satz 2 SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198-201) mit der Maßgabe entsprechen...