Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Ausweitung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Ausgangsgerichts. übermäßige Inanspruchnahme der Sozialgerichte. schädliches Prozessverhalten zum Nachteil anderer Rechtsschutz Suchender. sozialgerichtliches Verfahren. Beteiligte des Ausgangsverfahrens bei späterer Einbeziehung eines weiteren Klägers. unverzügliche Verzögerungsrüge. Abschluss des Ausgangsverfahrens innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des ÜberlVerfRSchG

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wer Verfahrensbeteiligter des Ausgangsverfahrens iSv § 198 Abs 1 S 1, § 198 Abs 6 Nr 2 GVG ist.

Abweichung von der regelmäßig als angemessen anzusehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten (vgl BSG, Urteile vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 4, B 10 ÜG 2/14 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 5).

 

Orientierungssatz

1. Eine Erhöhung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts (hier: auf 18 Monate) kommt ua in Betracht, wenn sich das allgemeine Prozessverhalten des Klägers (hier: Einreichung überdurchschnittlich vieler weiterer Klagen, unklare Antragstellungen und Klagebegehren, Durcheinander von Schriftsätzen und hohes Anspruchsdenken in Entschädigungsverfahren) im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung letztlich zum Nachteil aller anderen Rechtsschutz Suchenden auswirkt.

2. Eine unverzügliche Verzögerungsrüge ist nicht sinnvoll, sondern im Gegenteil kontraproduktiv, wenn die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz liegt bzw das Ausgangsverfahren noch innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG abgeschlossen wurde.

3. Dass das LSG einen weiteren Kläger in das Ausgangsverfahren einbezogen hat, bewirkt nicht, dass dieser deshalb auch von Anfang an als Verfahrensbeteiligter des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens iSd § 198 Abs 1 GVG anzusehen wäre.

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 102 AS 20826/07 und vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter den Aktenzeichen L 29 AS 39/12 bzw. L 28 AS 39/12 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 2.900,00 € zu zahlen. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu 20%, der Kläger zu 1) zu 30% und der Kläger zu 2) zu 50% zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin (SG) unter dem Aktenzeichen S 102 AS 20826/07 sowie dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) zuletzt unter dem Aktenzeichen L 28 AS 39/12 geführten Verfahrens.

Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Bescheid vom 31. August 2005 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 01. Februar 2006 und 27. März 2007 hatte das JobCenter N. - der spätere Beklagte im Ausgangsverfahren - dem Kläger zu 1) und seinem im April 1988 geborenen, mithin damals noch minderjährigen Sohn Fe., dem jetzigen Kläger zu 2), Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01. September 2005 bis zum 28. Februar 2006 bewilligt. Der dagegen eingelegte Widerspruch war mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2007 zurückgewiesen worden.

Am 30. August 2007 ging die vom Kläger zu 1) formulierte und unterschriebene Klageschrift vom 25. August 2007 ein, mit welcher er sich gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. August 2007 (gemeint: 21. August 2007) wandte und höhere Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Anrechnung von Kindergeld, unter Übernahme von monatlich 195 € Schulgeld, monatlich 26 € Fahrtkosten sowie unter Zugrundelegung eines höheren Regelsatzes begehrte. Die Klage wurde unter dem Az. S 102 AS 20826/07 registriert. Auf die Anforderung des SG vom 10. September 2007 (interne Wiedervorlagefrist von zwei Monaten) gingen am 31. Oktober 2007 die Klageerwiderung und die Verwaltungsakten des beklagten JobCenters bei Gericht ein. Am selben Tag sowie erneut am 07. Februar 2008 verfügte der damalige Kammervorsitzende eine Wiedervorlage in drei Monaten. Nachdem die Verwaltungsakten sich im März 2008 bei anderen Spruchkörpern zur Einsichtnahme (u. a. bei der 115. Kammer zur Prüfung einer doppelten Rechtshängigkeit) befunden hatten, forderte der Kammervorsitzende unter dem 29. August 2008 vom damaligen Beklagten Abschriften der streitgegenständlichen Bescheide an. Nach Eingang derselben am 08. September 2008 wurde der Rechtsstreit am 10. September 2008 in das so genannte „E-Fach“ (Entscheidungs-Fach) verfügt. Aufgrund richterlicher Verfügung vom 30. November 2009 (Ladung vom 03. Dezember 2009) wurden die Beteiligten zur nichtöffentlichen Sitzung am 07. Januar 2010 geladen. In dem Termin konkretisierte der Kläger zu 1) - der auch nach wie vor alleine im Rubrum aufgeführt war - das Klagebegehren dahingehend, dass höhere Leistungen unter Außerachtlassung des Kindergeldes sowie unter Berücksichtigung von Fahrtkosten für seinen Sohn F i. H. v. 26 € monatlich, Stromkosten - soweit ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge