Entscheidungsstichwort (Thema)
Freiwillige Krankenversicherung. Beitrittsrecht für Leistungsbezieher nach dem SGB 12
Leitsatz (amtlich)
Der Leistungsbezug nach dem SGB 12 steht der freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs 1 S 1 Nr 8 SGB 5 nicht entgegen.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2005 sowie der Bescheid vom 21. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2005 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin seit dem 1. Januar 2005 ihr freiwillig versichertes Mitglied ist.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin ab 1. Januar 2005 durch Beitritt freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse geworden ist.
Die 1934 geborene Klägerin lebt seit 1995 als so genannter Kontingentflüchtling aus der Ukraine in B. Seitdem bezog sie - als nicht erwerbsfähig – laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz [BSHG] bzw. dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Grundsicherungsgesetz. Seit dem 1. Januar 2005 erhält sie Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch [SGB] Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe -.
Am 7. Dezember 2004 „beantragte“ die Klägerin bei der Beklagten als der von ihr gewählten Krankenkasse für die Zeit ab 1. Januar 2005 die „Aufnahme“ in die freiwillige Krankenversicherung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 8 Sozialgesetzbuch [SGB] V. Der zuständige Träger der Sozialhilfe teilte mit, dass er zur Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung bereit sei.
Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 21. Dezember 2004 – bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30. November 2005 – ab. Das zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Beitrittsrecht nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 SGB V bestehe nur für Personen, die in der Vergangenheit, d. h. vor dem 1. Januar 2005, für mindestens einen Monat ununterbrochen laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bezogen hätten und davor zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat krankenversichert gewesen seien. Der Leistungsbezug müsse vor dem 1. Januar 2005 geendet haben. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall, denn der Leistungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger bestehe über den 31. Dezember 2004 hinaus – lediglich auf einer anderen Rechtsgrundlage – fort. Solange Leistungen nach dem SGB XII bezogen würden, bestehe Anspruch auf umfassenden Schutz bei Krankheit durch die Betreuung im Rahmen des § 264 Abs. 2 SGB V.
Mit der Klage zum Sozialgericht [SG] Berlin machte die Klägerin geltend, die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 8 SGB V lasse nicht erkennen, dass gegenwärtig kein Leistungsbezug bestehen dürfe. Der Rechtsstandpunkt der Beklagten führe dazu, dass sie – anders als ehemalige Leistungsbezieher nach dem BSHG, die ab 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II bezögen – weiterhin nicht gesetzlich kranken- und pflegeversichert sei.
Das SG sah die Klage als sinngemäß auf Feststellung, dass sie – die Klägerin – seit dem 1. Januar 2005 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten sei, gerichtet an und wies sie durch Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2005 ab. Es folgte der Rechtsauffassung der Beklagten. Sie erweise sich bereits nach dem Wortlaut der streitigen Vorschrift als zutreffend. Wäre bei der Beitrittsvoraussetzung „… Personen, die in der Vergangenheit laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz bezogen haben …“ die Betonung auf das Wort „Bundessozialhilfegesetz“ zu legen (und wären damit Leistungen zum Lebensunterhalt oder ähnliche Leistungen über den 31. Dezember 2004 hinaus nach einem anderen Gesetz als dem BSHG, insbesondere dem SGB XII, unschädlich), wären die Worte „in der Vergangenheit“ überflüssig, da das BSHG zum 1. Januar 2005 aufgehoben worden sei. Die Einfügung der Worte „in der Vergangenheit“ ergebe nur dann einen Sinn, wenn sie zum Ausdruck bringen solle, dass nur demjenigen ein Recht, der Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied beizutreten, eingeräumt werde, der seit dem 1. Januar 2005 keine Leistungen eines Sozialhilfeträgers mehr beziehe. Diese Auslegung entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers. Den Gesetzesmaterialien sei zu entnehmen, dass eine Gleichstellung mit Arbeitslosengeld II–Beziehern nur insoweit beabsichtigt gewesen sei, als es um die Zugangsmöglichkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Leistungsende gehe.
Mit der Berufung hält die Klägerin an ihrem gegenteiligen Standpunkt fest und verweist auf ein diesen Standpunkt teilendes Urteil des SG Aachen vom 29. August 2005 – S 4 (6) KR 78/05 -.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2005 sowie den Bescheid vom 21. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass sie seit dem 1. Januar 2005 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuw...