Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Festsetzung des Erstattungsbetrags für Betmiga™ (Wirkstoff Mirabegron). Schiedsstelle. Beurteilungsspielraum. Kostenspanne für die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie im Nutzenbewertungsbeschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). Bildung eines arithmetischen Mittels. sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit einer „gesonderten“ Klage gegen den der Festsetzung des Erstattungsbetrags vorgelagerten Nutzenbewertungsbeschluss des GBA nach § 35a Abs 8 S 1 SGB 5. Erfordernis eines gesonderten Feststellungsantrags nicht ausgeschlossen

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn der GBA in einem Beschluss nach § 35a SGB V für die Jahrestherapiekosten der Vergleichstherapie für einen oder mehrere Wirkstoffe nur Kostenspannen beschreibt, darf die Schiedsstelle aus der Kostenspanne der Jahrestherapiekosten der preiswertesten Vergleichstherapie ein streng arithmetisches Mittel bilden oder bestimmte Gewichtungen vornehmen. Der Nutzenbewertungsbeschluss ist in einem solchen Fall selbst auf Konkretisierung durch die Vertragsparteien angelegt. Er gibt einen Rahmen vor und belässt den Partnern der Erstattungsvereinbarung einen Spielraum.

 

Orientierungssatz

1. Zur Rechtmäßigkeit der Festsetzung des Erstattungsbetrags für das Arzneimittel Betmiga™ (Wirkstoff Mirabegron; europaweite arzneimittelrechtliche Zulassung für die Anwendungsgebiete „symptomatische Therapie von imperativem Harndrang, erhöhte Miktionsfrequenz und/oder Dranginkontinenz, die bei Erwachsenen mit überaktiver Blase auftreten können“) im Schiedsverfahren unter Einhaltung der zwingenden formell-rechtlichen und materiell-rechtlichen Vorgaben und ihres sich daraus ergebenden Beurteilungsspielraums.

2. Dass nach § 35a Abs 8 S 1 SGB 5 eine „gesonderte“ Klage gegen den der Festsetzung des Erstattungsbetrags vorgelagerten Nutzenbewertungsbeschluss des GBA unzulässig ist, schließt das Erfordernis eines gesonderten Feststellungsantrags in prozessualen Konstellationen der vorliegenden Art nicht schlechthin aus. Dem Wortlaut des Gesetzes ist nicht etwa zu entnehmen, dass sich eine Klage „ausschließlich“ gegen den Schiedsspruch richten müsste und nicht gegen den GBA-Beschluss (vgl BSG vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R = SozR 4-2500 § 130b Nr 3 RdNr 36f).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2.; der Beigeladene zu 1. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch der Beklagten, der gemeinsamen Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V).

Die Klägerin brachte als pharmazeutische Unternehmerin erstmalig am 1. Juni 2014 das Arzneimittel Betmiga™ (Wirkstoff: Mirabegron, Wirkstärke 50 mg) in Deutschland in den Verkehr. Betmiga™ verfügt seit Dezember 2012 über eine europaweite arzneimittelrechtliche Zulassung der European Medicines Agency (EMA) für die Anwendungsgebiete „symptomatische Therapie von imperativem Harndrang, erhöhte Miktionsfrequenz und/oder Dranginkontinenz, die bei Erwachsenen mit überaktiver Blase (OAB, overactive bladder, zu Deutsch: überaktive Blase/Reizblase - ÜAB) auftreten können.“

Im Rahmen der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA - Beigeladener zu 2.) nach § 35a Abs. 1 SGB V durchzuführenden frühen Nutzenbewertung reichte die Klägerin bei diesem am 28. Mai 2014 ein abschließendes Dossier für den Wirkstoff Mirabegron ein. Unmittelbar danach beauftragte der Beigeladene zu 2. das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der Bewertung dieses Dossiers. Seine Dossierbewertung übermittelte das IQWiG dem Beigeladenen zu 2. am 28. August 2014, woraufhin dieser ein Stellungnahme- und Anhörungsverfahren einleitete. Die mündliche Anhörung fand am 6. Oktober 2014 statt. Mit Schreiben gleichen Tages wurde das IQWiG mit einer ergänzenden Bewertung von im Stellungnahmeverfahren vorgelegten Daten beauftragt. Das vom IQWiG erstellte Addendum wurde dem Beigeladenen zu 2. am 16. Oktober 2014 übermittelt.

Ausweislich der Kurzfassung der Nutzenbewertung vom 01. September 2014 lagen, so das IQWiG, zu dem patientenrelevanten Endpunkt „Inkontinenz und Dranginkontinenz“ verwertbare Daten für die Gesamtpopulationen der Studien weder aus der vorgelegten Langzeitstudie vor noch ergaben sie sich aus den Kurzzeitstudien. Damit sei ein Zusatznutzen von Mirabegron im Vergleich zu Tolterodin für die Endpunkte Inkontinenz und Dranginkontinenz nicht belegt.

Zu dem Endpunkt „Nebenwirkungen“ führte das IQWiG wörtlich aus:

„Für die Endpunkte SUE (= schwerwiegende unerwünschte Ereignisse) und Abbruch wegen UE (= unerwünschte Ereignisse) zeigte sich weder in der Langzeitstudie 049 noch in der Meta-Analyse der Kurzzeitstudien 044, 046, 048 und 090 ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Damit ist ein größerer / geringerer Schaden von Mira...

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