Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Irreversible Elektroporation (IRE) zur ambulanten Behandlung des Prostatakarzinoms. neue Behandlungsmethode. fehlende positive Empfehlung des GBA. kein Systemversagen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der IRE-Behandlung des Prostatakarzinoms handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode iSv § 135 SGB V, die ohne eine positive Empfehlung des GBA nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen umfasst ist.
2. Zu den Voraussetzungen aus § 2 Abs 1a SGB V (hier abgelehnt).
3. Anschluss an LSG Stuttgart vom 27.7.2016 - L 5 KR 442/16.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten in Höhe von noch 5.556,13 Euro für eine im April 2017 durchgeführte Irreversible Elektroporation (IRE, Nano-Knife-Behandlung).
Die IRE ist eine neue Behandlungsmethode für Männer mit Prostatakrebs, die mit elektrischen Feldern und Starkstrom arbeitet. Eine Spannung von mehreren 1000 Volt soll Krebszellen in der Prostata gezielt zum Absterben bringen; es handelt sich um ein minimalinvasives, nicht-thermisches Gewebeablationsverfahren.
Der 1950 geborene Kläger ist beihilfeberechtigter Beamter und bei der Beklagten krankenversichert. Im Jahre 2015 wurde bei ihm ein primär ossär metastasiertes Prostatakarzinom festgestellt. Der Kläger unterzog sich zunächst einer hormonablativen Therapie mit Leuprorelin (Trenatone), die eine gute Wirkung zeigte.
Am 6. Februar 2017 trat der Kläger telefonisch an die Beklagte heran, um die Frage der Kostenübernahme für eine IRE zu klären. Er erhielt die Auskunft, dass es sich um eine neue Methode handele, die keine Kassenleistung darstelle, so dass eine Kostenübernahme nicht in Betracht komme.
Hierauf besorgte der Kläger sich die Leistung selbst; für Voruntersuchung (22. Februar 2017), Operation (6. April 2017), Kontrolluntersuchung (7. April 2017) und Nachuntersuchungen (29. Mai/25. September 2017) berechnete das Institut für bildgebende Diagnostik, Prof. Dr. S (Privatarzt), auf Grundlage der GOÄ insgesamt 18.520,41 Euro. Nach dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren übernahm die Beihilfe hiervon 70 Prozent (12.964,28 Euro, Restbetrag = 5.556,13 Euro).
Mit Schreiben vom 14. Mai 2017 teilte der Kläger der Beklagten mit, sich gegen die Entfernung der Prostata und Bestrahlung des Beckenbodens als Behandlungsalternativen entschieden zu haben, weil diese andauernde Nebenwirkungen nach sich zögen. Stattdessen habe er sich für die IRE entschieden, die er zunächst auf eigene Rechnung habe durchführen lassen. Er beantrage Kostenerstattung.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung ab. Der Behandler Dr. S sei kein Vertragspartner. Zudem handele es sich bei der IRE um eine neue, bislang nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) bewertete Behandlungsmethode.
Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs führte der Kläger an, angesichts des lebensbedrohlichen Prostatakarzinoms sei die Behandlung unaufschiebbar gewesen. Es habe ein Notfall vorgelegen. Auf der Grundlage von § 2 Abs. 1a SGB V beanspruche er die Leistung. In den USA sei die IRE zugelassen.
In einem Gutachten vom 16. August 2017 kam der von der Beklagten mit dem Vorgang befasste MDK Bayern zu dem Ergebnis, sozialmedizinisch lägen die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nicht vor. In Auswertung der vorhandenen Informationen sei eine akut lebensbedrohliche Situation zum Zeitpunkt der Behandlung ebenso wenig belegt wie ein Notfall im Sinne von § 76 Abs. 1 SGB V; dass ohne die Behandlung innerhalb weniger Wochen eine schwere irreversible Störung eingetreten wäre, sei ebenfalls nicht ersichtlich. Laut Kernspinbefund vom 22. Februar 2017 sei die Prostata vor dem Eingriff nur gering vergrößert, ein umschriebener Tumor sei nicht differenzierbar gewesen; kapselübergreifendes Wachstum oder auffällige Lymphknotenvergrößerung hätten nicht vorgelegen. Leitliniengerechte alternative Behandlungen hätten zur Verfügung gestanden. Wissenschaftliche Daten für eine lebensverlängernde Wirkung der IRE lägen nicht vor.
Hierauf wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2018 zurück. Für die angewandte neue Behandlungsmethode fehle es an einer positiven Empfehlung durch den GBA, was eine Kostentragung durch die gesetzlichen Krankenkassen ausschließe. Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1a SGB V lägen nicht vor, denn vor dem Eingriff habe die Prostata nahezu unauffällig ausgesehen; allgemein anerkannte Behandlungsmethoden hätten zur Verfügung gestanden.
Zur Begründung seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft. Es habe eine lebensbedrohliche Erkrankung im Sinne von § 2 Abs. 1a SGB V vorgelegen, für die eine allgemein anerkannte Leistung nicht zur Verfügung gestanden habe. Die Beh...