Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Vereinbarung über Erstattungsbeträge für Arzneimittel ohne Festbetragsgruppe. Festsetzung des Vertragsinhalts durch die Schiedsstelle. Überprüfung durch das Gericht. Offenlegung des zugrunde gelegten Tatsachenstoffes. Rechtswidrigkeit der Mischpreisbildung in der Konstellation unterschiedlich nutzenbewerteter Patientengruppen. Risiko des Arzneikostenregresses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird die Entscheidung einer Schiedsstelle angefochten, überprüft das Gericht nicht, ob die Schiedsstelle die "richtige" Entscheidung getroffen hat, sondern, ob die getroffene Entscheidung unter Beachtung allgemeiner Beweisgrundsätze und Denkgesetze nachvollziehbar begründet ist.

2. Eine Schiedsstelle ist nicht berechtigt, einen Schiedsspruch auf "geheime", weder den Beteiligten noch dem Gericht mitgeteilte Tatsachen zu stützen.

3. Zur Rechtswidrigkeit der Mischpreisbildung in der Konstellation unterschiedlich nutzenbewerteter Patientengruppen.

4. Zum Risiko des Arzneikostenregresses infolge einer Mischpreisbildung bei unterschiedlich nutzenbewerteten Patientengruppen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.07.2018; Aktenzeichen B 3 KR 21/17 R)

 

Tenor

Der Schiedsspruch der Beklagten vom 20. Januar 2016 wird hinsichtlich des darin festgesetzten Erstattungsbetrages (II.3 und II.5 des Schiedsspruchs) aufgehoben.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers je zur Hälfte. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Schiedsspruches der beklagten Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Der Beigeladenen zu 1), einem pharmazeutischen Unternehmen, wurde durch die European Medicine Agency (EMA) am 18. September 2014 die Zulassung für das Arzneimittel Zydelig (Wirkstoff Idelalisib) für folgende Anwendungsgebiete erteilt (die zum besseren Verständnis des Folgenden vom Senat durchnummeriert wurden):

Zydelig wird in Kombination mit Rituximab zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) angewendet:

die mindestens eine vorangehende Therapie erhalten haben (Anwendungsgebiet 1), oder

als Erstlinientherapie bei Vorliegen einer 17p-Deletion oder einer TP53-Mutation bei Patienten, die für eine Chemoimmuntherapie ungeeignet sind (Anwendungsgebiet2).

Zydelig wird als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit follikulärem Lymphom (FL), das refraktär gegenüber zwei vorausgegangenen Therapielinien ist, angewendet (Anwendungsgebiet3).

Das Arzneimittel wird mit den Wirkstoffmengen 100 mg und 150 mg pro Darreichungsform (Filmtablette) abgegeben.

Mit Telefax vom 24. September 2014 informierte die Informationsstelle für Arzneispezialitäten GmbH (IFA) im Auftrag der Beigeladenen zu 1) über die Neuausbietung von Zydelig. Am 15. Oktober 2014 wurde Zydelig in der Großen Deutschen Spezialitätentaxe (Lauer-Taxe) eingetragen. Das von der Beigeladenen zu 1) zeitgleich in Gang gesetzte Nutzenbewertungsverfahren nach § 35a SGB V schloss der Gemeinsame Bundesausschuss - GBA - (Beigeladener zu 2) am 19. März 2015 mit einem Beschluss ab, in dem er für das Anwendungsgebiet 2 und die Teilpopulation 1b (Patienten mit rezidivierender CLL, für die eine Chemotherapie nicht angezeigt ist) im Anwendungsgebiet 1 einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen feststellte und im Übrigen einen Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie wegen nicht vorgelegter Nachweise als nicht belegt ansah. Im Übrigen legte er u.a. folgende Daten zugrunde:

zweckmäßige Vergleichstherapie

Anzahl der

infrage kom-

menden Pati-

enten

Anwendungsgebiet 1

2 000 - 7 500

Teilpopulation 1a

eine Chemotherapie in Kombination mit Rituximab nach Maßgabe des Arztes, unter Beachtung des Zulassungsstatus1

Teilpopulation 1b

Best-Supportive-Care

Teilpopulation 1c

eine patientenindividuelle, optimierte Therapie nach Maßgabe des Arztes, unter Beachtung des Zulassungsstatus

Teilpopulation 1d

Best-Supportive-Care

Anwendungsgebiet 2

Best-Supportive-Care

200 - 300

Anwendungsgebiet 3

Best-Supportive-Care

800 - 3 300

1 zur Berechnung der Kosten dieser zweckmäßigen Vergleichstherapie wurden in diesem Beschluss „beispielhaft einige übliche Therapieschemata dargestellt“.

Jahrestherapiekosten

Patientengruppe

zu bewertendes

Arzneimittel

Kosten

zusätzlicher Zuschlag

für Herstellung einer

zytostatikahaltigen

parenteralen

Zubereitung

Teilpopulation 1a

Idelalisib +

Rituximab

93.802,17 €

648 €

Zweckmäßige Vergleichstherapien

zwischen

22.639,08 € und

28.541,50 €

zwischen 486 € und

3 402 € 1

Teilpopulation 1c

Idelalisib +

Rituximab +

zusätzlich notwendige GKV-Leistungen

93 881,48 €

648 €

Zweckmäßige Vergleichstherapien

zwischen

334,30 € und

9.355,08 €

zwischen 972 € und

3 402 € 2

Teilpopulationen 1b, 1d,

Anwendungsgebiet 2

Idelalisib +

Rituximab +

zusätzlich notwendige GKV-Leistungen

93 881,48 €

648 €

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