Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Voraussetzung einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. HIV-Infektion. Beweiswürdigung
Orientierungssatz
1. Bei einem Versicherten, der noch geistig und körperlich leichte Tätigkeiten in geschlossenen Räumen im spontan möglichen Wechsel der Haltungsarten - vorzugsweise im Sitzen - mit Heben und Tragen von Lasten bis 7,5 kg verrichten kann, bei welchen Arbeiten unter Zeitdruck, in Nachtschicht bzw. außerhalb der “Regelschicht„ von 7 bis 18 Uhr, auf Leitern und Gerüsten, in überwiegenden Zwangshaltungen und mit häufigem Bücken, Kriechen oder Hocken ausgeschlossen sind, liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nicht vor, vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 1999 - B 13 RJ 71/97 R.
2. Die Voraussetzungen einer Benennungspflicht einer Verweisungstätigkeit sind (nur) dann erfüllt, wenn feststeht, dass der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Versicherte i.V.m. weiteren Einschränkungen zusätzliche Arbeitspausen von mindestens zweimal 15 Minuten einlegen muss, vgl. BSG, Urteile vom 06. Juni 1986 - 5b RJ 42/85 und vom 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 64/02 R.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. März 2007 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 27. Oktober 2010 wird abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten im gesamten Verfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1963 geborene Kläger ist gelernter Maler und war von 1997 bis 2009 als Tierarzthelfer (Arbeitszeit laut Arbeitsvertrag vom 1. Juli 1999: 20 Stunden wöchentlich) beschäftigt.
Bei dem Kläger war ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt aufgrund folgender Leiden: Erworbene Immunschwäche, Zuckerkrankheit, Migräne (Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales - Versorgungsamt - vom 9. August 2004). Mit Bescheid des Versorgungsamtes vom 9. Juni 2008 wurde der Kläger unter Zuerkennung des Merkzeichens “G„ als schwer behinderter Mensch mit einem GdB von 80 anerkannt (HIV, Folgezustände; Diabetes mellitus Typ II).
Auf den vom Kläger am 12. März 2004 gestellten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (EM) forderte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als Rechtsvorgänger der Beklagten Befundberichte des Internisten Dr. K vom 15. April 2004 (Diagnosen: Diabetes mellitus, chronische rezidivierende Dorsalgie, chronische Migräne, HIV-Infektion) und der Neurologin Dr. A vom 23. Mai 2004 (Migräne, Dysthymia, Verdacht auf HIV) an und ließ den Kläger durch den Internisten Dr. H untersuchen und begutachten. Dieser Arzt bescheinigte dem Kläger auf seinem Fachgebiet noch ein Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten, überwiegend im Sitzen, im täglichen Umfang von sechs Stunden und mehr (Gutachten vom 3. Mai 2004 aufgrund der Untersuchung vom 14. März 2006; HIV mit Folgeerscheinungen, Adipositas, Diabetes mellitus, Schwindel, Nikotinabusus, Migräne, Hyperlipidämie, Verdacht auf beginnende Nierenschädigung, vertebragenes Schmerzsyndrom, Depression). Mit Bescheid vom 9. Juni 2004 lehnte die BfA den Rentenantrag ab. Im Widerspruchsverfahren veranlasste sie die Erstattung eines Gutachtens durch den Chirurgen Dipl.-Med. P vom 19. Juli 2004 (Diagnosen: rezidivierendes Dorsalsyndrom bei BWS-Fehlhaltung, Gonalgie rechts bei Chondropathie, HIV-Infektion mit Folgekrankheit, Adipositas), der den Kläger noch für körperlich leichte Arbeiten - überwiegend im Sitzen - mit qualitativen Einschränkungen für täglich sechs Stunden und mehr einsetzbar hielt. Die BfA holte weiterhin ein nervenärztliches Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dipl.-Psych. W vom 25. Juli 2004 ein (Diagnosen: Anpassungsstörung bei HIV mit depressiver Symptomatik, Migräne ohne Aura). Dieser Gutachter hielt den Kläger für leichte Tätigkeiten in einem Umfang von sechs Stunden und mehr unter qualitativen Einschränkungen für belastbar. Nachdem die BfA einen Befundbericht des C V-Klinikums der C (HIV-Tagesklinik) vom 24. September 2004 beigezogen hatte (Diagnosen: HIV-Infektion [Stadium A3], metabolisches Syndrom mit Adipositas, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus Typ 2 und Steatosis Hepatis, reaktive Depression, Migräne sowie seborrhoische Dermatitis), wies sie den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2004 zurück.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Berlin Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers erstatten lassen, und zwar vom C V-Klinikum der C vom 20. Juni 2005, von Dr. A vom 1. Juli 2005 sowie von Dr. K vom 9. Juli 2005. Das SG hat den Facharzt für Innere Medizin, Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie Dr. S als Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 24. Oktober 2005 (Untersuchung am 7. Oktober 2005) folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: HIV-Infektion ...