Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf der Klagerücknahme

 

Orientierungssatz

Die Klagerücknahme stellt die Prozeßhandlung eines Beteiligten dar, die nach Abschluß eines Verfahrens - im Interesse der Prozeßsicherheit und Prozeßökonomie - grundsätzlich nicht widerrufen werden kann. Die Anfechtungsgründe des BGB finden auf Prozeßhandlungen wie die Klagerücknahme keine analoge Anwendung (vgl BSG vom 14.6.1978 - 9/10 RV 31/77 = SozR 1500 § 102 Nr 2).

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger die von ihm am 16. Juni 1994 erklärte Rücknahme der Klage widerrufen und eine sachliche Entscheidung über sein Klagebegehren beanspruchen kann.

Durch Bescheid vom 23. März 1992 stellte der Beklagte bei dem 1941 geborenen Kläger, der in der ehemaligen DDR als Schwerbeschädigter mit einem Ausweis der Stufe II anerkannt war, einen Grad der Behinderung -GdB- von 30 fest. Nachdem der Kläger Widerspruch eingelegt und die Anerkennung einer erheblichen Gehbehinderung beantragt hatte, veranlaßte der Beklagte seine Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. Dieser Sachverständige stellte bei dem Kläger ein

"phobisch gefärbtes hirnorganisches Psychosyndrom und vegetative Dysregulationen bei cerebro-vaskulärer Insuffizienz"

als weitere Behinderung mit einem GdB von 60 fest. Er empfahl die Bildung eines Gesamt-GdB von 70 und wegen der relativ häufigen Schwindelattacken die Gewährung des Nachteilsausgleichs "G". Das Gutachten enthält einen handschriftlichen Vermerk des bei dem Beklagten als Prüfarzt tätigen Arztes für Neurologie und Psychiatrie L., die zweimal wöchentlich auftretenden Schwindelattacken begründeten nicht die Notwendigkeit des Nachteilsausgleichs "G".

Daraufhin erkannte der Beklagte im Bescheid vom 14. Oktober 1992 zwar die von Dr. A. festgestellte Behinderung an und erhöhte den GdB auf 70. Die Zuerkennung des Merkzeichens "G" wurde jedoch in diesem Bescheid und in dem Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1992 mit der Begründung abgelehnt, nach Art und Ausmaß der Behinderungen seien die gesundheitlichen Voraussetzungen dieses Nachteilsausgleichs nicht erfüllt.

Mit der gegen diese Entscheidung erhobenen Klage hatte der Kläger zunächst die Feststellung einer erheblichen Gehbehinderung begehrt. Nachdem der Beklagte durch Bescheid vom 26. Januar 1993 den von ihm am 13. November 1992 gestellten Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "H" (Hilflosigkeit) abgelehnt hatte, beanspruchte der Kläger auch die Gewährung dieses Nachteilsausgleichs.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 16. Juni 1994 hatte der Kläger zunächst die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung der Merkzeichen "G" und "H" beantragt. Nach Verkündung eines Beweis- und Vertagungsbeschlusses heißt es im Gerichtsprotokoll vom 16. Juni 1994:

"Nachdem dieser Beschluß verkündet worden war, bittet der Kläger ums Wort. Er erhält Gelegenheit, die folgenden Worte persönlich auf das Tonband zu diktieren: Ich ziehe hiermit meine Klage mit heutigem Datum, mit dem 16. Juni 1994 zurück, weil zu viele Fehler vom Versorgungsamt gemacht wurden, vertreten letzten Endes durch dessen Präsidenten K. Die Fehler werde ich ggf. dem Bundesgesundheitsminister und dem Bundeskanzler zuordnen. Danke. Ende."

Am 18. Januar 1995 hatte der Kläger die Wiederaufnahme des hiesigen Verfahrens mit der Begründung beantragt, er wolle sich gegen den 2. Prüfarzt, Herrn L., wenden, der ihn noch nicht einmal untersucht habe. Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 20. Juli 1995 entschieden, daß das Klageverfahren durch die Rücknahmeerklärung des Klägers vom 16. Juni 1994 in der Hauptsache erledigt sei. Die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7 Buchst. b Zivilprozeßordnung (ZPO), wonach einer Wiederaufnahmeklage stattzugeben sei, wenn eine Partei eine andere Urkunde auffinde oder zu benutzen in den Stand gesetzt werde, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, seien nicht erfüllt. Dem Kläger sei in der mündlichen Verhandlung am 16. Juni 1994, bevor er nach der Verkündung des Beweisbeschlusses die Klagerücknahme in das Tonband diktiert habe, die Existenz des Gutachtens des Dr. A. ebenso wie der abweichende Vermerk des Prüfarztes L. bekannt gegeben worden. Die Berufung des Klägers ist von dem erkennenden Senat (L 13 Vs 57/95) durch Beschluß vom 20. Dezember 1995 zurückgewiesen worden. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundessozialgericht -BSG- (9 BVs 4/96) durch Beschluß vom 4. März 1996 als unzulässig verworfen.

Mit Schreiben vom 23. Februar 1996 beantragte der Kläger eine Neubeurteilung mit der Begründung, der Vorsitzende der 48. Kammer des Sozialgerichts habe nicht beachtet, daß gegen den Prüfarzt L. ein Strafverfahren anhängig sei. Dieser Arzt habe, ohne ihn untersucht zu haben, die ihm von Dr. A. in dem Gutachten vom 11. September 1992 zuerkannte erhebliche Gehbehinderung gestrichen. Das stelle einen Betrug dar. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25. Juli 1996 hat der Kläger beantragt,

den Widerruf seiner R...

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