Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers. Vorrang der Sozialhilfe vor der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder- und Jugendhilfe. Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie. Eignung der Pflegeperson. Umfang des Erstattungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Vorrang (§ 10 Abs 4 S 2 SGB VIII) der Leistungspflicht des überörtlichen Sozialhilfeträgers im Rahmen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe auf Grundlage von § 54 Abs 3 SGB XII idF vom 30.7.2009 gegenüber derjenigen des Jugendhilfeträgers bei Betreuung eines Kindes oder Jugendlichen in einer Pflegefamilie (vgl BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 7/13 R = BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13).
2. Einer besonderen Erlaubnis iS des § 44 Abs 1 S 1 SGB VIII zur Betreuung eines Kindes oder Jugendlichen bedarf die Pflegeperson nach § 44 Abs 1 S 2 Nr 1 Alt 1 SGB VIII nicht, wenn die Inpflegegabe durch das Jugendamt erfolgt ist. Die Vermittlung der Pflege durch das Jugendamt bietet insoweit ausreichende Gewähr dafür, dass durch die Notwendigkeit der Hilfeplanung, laufende Beratung und Begleitung der besondere Schutz des Pflegekindes gewährleistet ist. Die Pflegeerlaubnis hat in diesen Fällen keine eigenständige Funktion mehr. Eine Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB VIII ist daher weder vorher noch während der Fortsetzung der Hilfe nötig (vgl OVG Lüneburg vom 7.6.2017 - 4 LA 281/16 - = NZFam 2017, 805).
3. Aus § 54 Abs 3 SGB XII (und iVm § 28 Abs 5 SGB XII) ergibt sich, dass die erbrachten Jugendhilfeleistungen insgesamt erstattungspflichtig sind, so dass der Sozialhilfeträger auch für die mit der Unterbringung verbundenen Kosten zum Lebensunterhalt als einem integralen Bestandteil der Maßnahme aufzukommen hat (vgl BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 7/13 R aaO).
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 02.09.2016 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten auch des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für die Unterbringung des M. C. (Hilfeempfänger) in einer Pflegefamilie für die Zeit vom 16.12.2009 bis 31.10.2010 und vom 01.04.2011 bis 31.10.2011.
Der 2006 mit einem Geburtsgewicht von 470 g geborene Hilfeempfänger ist seit Geburt blind und in seiner gesamten Entwicklung deutlich verzögert. Ihm wurde ab 29.01.2008 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen “Blind, H, G, B, aG und RF„ zuerkannt. Seit 01.03.2009 ist er in Pflegestufe 2 und seit Dezember 2016 in Pflegestufe 3 eingestuft. Zum 01.11.2011 wechselte die Zuständigkeit der Kostenträgerschaft zum Stadtjugendamt La..
Nach Entlassung aus dem Krankenhaus gewährte ihm der Kläger - nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahe der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin vom 17.07.2006 (Prof. Dr. Mö.), wonach eine Unterbringung in einer Pflegefamilie aus medizinischer Sicht als die “optimalste Form der Unterbringung„ angesehen werde - ab dem 10.10.2006 (Bescheid vom 31.10.2006) zunächst Hilfe zur Erziehung in Form von Bereitschaftspflege nach §§ 27, 33 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) - ab dem 01.01.2008 in der Pflegefamilie B. und R. Ri. in La. - und seit 01.11.2008 in Dauerpflege in Form von Vollzeitpflege. Ab 01.04.2008 erhielt er ambulante heilpädagogische Leistungen durch die Landesschule für Blinde und Sehbehinderte in Ne.. In dem ärztlichen Bericht von Prof. Dr. Mö. wurde u.a. ausgeführt, dass seitens der Mutter nur ein geringes Interesse an dem Hilfeempfänger habe festgestellt werden können, keine telefonische Kontaktaufnahme während des seit Geburt erforderlichen Klinikaufenthalts stattgefunden habe, die Mutter weitere 6 Kinder habe, die bereits anderweitig untergebracht seien und diese in persönlichen Gesprächen nicht den Eindruck erweckt habe, als sei sie der Betreuung des Hilfeempfängers gewachsen. Als Diagnosen wurden aufgeführt:
Zwillings-Frühgeborenes mit extremer Unreife
Broncho-pulmonale Dysplasie nach Langzeitbeatmung
Zustand nach Darmperforation/NEC
Zustand nach Subileus
Zustand nach Sepsis
Retinopathia praematurorum
Ablatio retinae
Blindheit/schwere Sehschwäche beider Augen
Nephrocalcinose
Eisenüberladung nach Polytransfusionen.
Während der Unterbringung in Vollzeitpflege bewilligte der Beklagte - u.a. mit Bescheid vom 12.08.2009 - für die Zeit vom 01.07.2009 bis zu Beginn der gesetzlichen Schulpflicht gemäß § 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) iVm §§ 30, 56 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ambulante heilpädagogische Leistungen durch die Landesschule für Blinde und Sehbehinderte in Ne. von bis zu 45 Fördereinheiten jährlich. Mit weiterem Bescheid vom 28.09.2009 wurden von dem Beklagten die Kosten der Betreuung im Sonderkindergarten St. P.-St. des Ca.verbandes in La. ab Aufnahmetag übernommen. In einem Bericht zur individuell...