Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. nur bei fehlender tatsächlicher Verbindung zum inländischen Arbeitsmarkt. Nichtanwendbarkeit des EuFürsAbk. wirksame Vorbehaltserklärung der Bundesregierung. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Sozialhilfe für Ausländer. Anwendbarkeit des EuFürsAbk. keine Vorbehaltserklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, ist § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 dahingehend auszulegen, dass Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nur dann dem Grunde nach von der Leistungsberechtigung ausgeschlossen sind, wenn diese - obwohl sich ihr Aufenthaltsrecht aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt - nicht in einer tatsächlichen Verbindung zum inländischen Arbeitsmarkt stehen (grundlegend Beschluss vom 2.3.2010 - L 5 AS 54/10 B ER und Beschluss vom 11.3.2010 - L 5 B 181/09 ER AS; aus neuerer Zeit etwa Beschluss vom 6.12.2012 - L 4 AS 308/12 B ER). Eine solche tatsächliche Verbindung zum inländischen Arbeitsmarkt besteht bei diesen Personen in der Regel dann, wenn sie entweder bereits erwerbstätig waren oder während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich ernsthaft eine Beschäftigung gesucht haben (vgl auch EuGH vom 4.6.2009 - C-22/08 ua = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5; Beschluss des Senats vom 11.3.2010 - L 5 B 181/09 ER AS).
2. Eine in der Vergangenheit möglicherweise hergestellte Verbindung zum inländischen Arbeitsmarkt fällt jedenfalls solange weg, wie sich der (arbeitslose) Betroffene selbst vom Arbeitsmarkt löst, indem er erklärt, nicht nach einer Beschäftigung zu suchen.
3. Der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt nach Art 16 Buchst b EFA (juris: EuFürsAbk) hinsichtlich SGB 2-Leistungen ist wirksam.
4. Die Bundesregierung hat jedoch keinen Vorbehalt nach Art 16 Buchst b EFA (juris: EuFürsAbk) hinsichtlich von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB 12 erklärt.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Oktober 2012 geändert. Die Beigeladene wird verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 1. Oktober 2012 vorläufig laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten der Antragstellerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist statthaft und zulässig (§ 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Sie ist auch begründet. Nicht der Antragsgegner ist gegenüber der Antragstellerin zur Sicherung des Lebensunterhalts verpflichtet, sondern die Beigeladene als Trägerin der Sozialhilfe.
Einem Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den §§ 19 ff. des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) steht jedenfalls der Ausschlusstatbestand in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen, wonach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgenommen sind. Nach einer im Beschwerdeverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung gehört die Antragstellerin zu diesem Personenkreis. Der Senat nimmt insoweit nach § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf den Beschluss des Sozialgerichts Bezug.
Auch die gebotene Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Lichte des Gemeinschaftsrechts - insbesondere im Lichte von Art. 45 Abs. 2 des Vertrages für die Arbeitsweise der Europäischen Union - und der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zwingt nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, ist die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass sie Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nur dann dem Grunde nach von der Leistungsberechtigung ausschließt, wenn diese - obwohl sich ihr Aufenthaltsrecht aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt - nicht in einer tatsächlichen Verbindung zum inländischen Arbeitsmarkt stehen (grundlegend Beschluss des Senats vom 2.3.2010, L 5 AS 54/10 B ER, und Beschluss des Senats vom 11.3.2010, L 5 B 181/09 ER AS; aus neuerer Zeit etwa Beschluss vom 6.12.2012, B 4 AS 308/12 B ER). Eine solche tatsächliche Verbindung zum inländischen Arbeitsmarkt besteht bei den Staatsangehörigen von EU-Mitgliedstaaten in der Regel dann, wenn sie entweder bereits erwerbstätig waren oder während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich ernsthaft eine Beschäftigung gesucht haben (vgl. auch EuGH, Urteil vom 4.6.2009, C-22/08 und C-23/08; Beschluss des Senats vom 11.3.2010, a.a.O.).
Bei der Antragstellerin lässt sich eine derartige Verbindung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht feststellen. Eine in der Vergangenheit - hier durch mehrmonatige Beschäftigung als Saisonarbeiterin - möglicherweise hergestellte...