Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung gem § 1a AsylbLG. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vorschrift des § 1a Nr 2 AsylbLG begegnet auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.7.2012 -1 BvL 10/10 ua = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 = BGBl I 2012, 1715 keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
2. Eine Leistungsabsenkung um EUR 40,90 monatlich wahrt das im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene.
Orientierungssatz
Aktenzeichen beim LSG: S 52 AY 20/13 ER
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 29. April 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die am 1. Juni 2013 durch die Antragstellerin eingelegte Beschwerde gegen den ihr am 7. Mai 2013 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 29. April 2013 ist statthaft und auch sonst zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Insbesondere steht dem nicht entgegen, dass nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ein Beschwerdewert von mindestens 750,-- EUR vorausgesetzt wird. Diese Beschränkung gilt nämlich nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Absatz 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Beschwerde wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft - das ist hier der Fall, da es der Klägerin um die Höhe ihrer Leistungsansprüche seit dem 1. August 2012 geht.
Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin, die nach eigenen Angaben aus K. stammt, laufende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ohne Einschränkung auf das Unerlässliche nach § 1a AsylbGL zu gewähren.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch voraus, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung glaubhaft zu machen.
Das ist der Antragstellerin nicht gelungen. Die Anwendung der Vorschrift des § 1a AsylbLG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu 1.), ihre Voraussetzungen liegen vor (dazu 2.) und die Antragsgegnerin ist bei der Bemessung der Anspruchseinschränkung auch im gesetzlichen Rahmen geblieben (dazu 3.).
1.
§ 1a AsylbLG sieht vor, dass diejenigen Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG und ihre Familienangehörigen, die sich zur Erlangung von Asylbewerberleistungen in das Bundesgebiet begeben haben (Nr. 1) oder bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (Nr. 2), nur Leistungen nach den Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.
Nach Auffassung des Senats ist die Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Zwar ist aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 - zitiert nach juris), die die Leistungssätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz als evident unzureichend erachtet und eine Übergangsregelung angeordnet hat, und insbesondere mit Blick auf die Feststellung in der Urteilsbegründung “Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren„ (Rn. 95) in Zweifel gezogen worden, ob die Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG verfassungsrechtlich Bestand haben kann (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6.2.2013 - L 15 AY 2/13 B ER; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 20.3.2013 - L 8 AY 59/12 B ER, LSG Thüringen, Beschl. v. 17.1.2013 - L 8 AY 1801/12 B ER; offengelassen bei BayLSG, Beschl. v. 24.1.2013 - L 8 AY 4/12 B ER; sämtliche mit weiteren Nachweisen). Auch wenn diese Entscheidung nicht die Vorschrift des § 1a AsylbLG betraf, sondern § 3 AsylbLG zum Gegenstand hatte, mag damit die Frage nach der Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene neu gestellt sein (Oppermann, in: jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 79.2). Es ist jedoch zu beachten, dass verhaltensbedingte Leistungsabsenkungen im Fürsorgerecht (etwa § 31 SGB II, §§ 26, 41 Abs. 4 SGB XII) grundsätzlich als zulässig und im Rahmen des Verhältnismäßigkeit auch als mit der Menschenwürdegarantie vereinbar angesehen werden (so auch Oppermann, a.a.O., Rn. 79.5). Sie können durchaus als Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips verstanden werden, welches Hilfebedürftigen die öffentlichen Leistungen sichern und daher zum ...