Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe in anderen Lebenslagen. Bestattungskosten. öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die aus der Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht resultierenden Kosten können Gegenstand einer übernahmefähigen Kostenverpflichtung iS des § 74 SGB 12 sein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der öffentlich-rechtlich Bestattungspflichtige schon mit der Bezahlung der Bestattungskosten in Vorlage getreten ist oder ob er - etwa mangels finanzieller Mittel - noch keine Leistungen erbracht hat.

2. Es verstößt gegen die elementaren Gebote der Pietät und der Totenwürde, eine Leiche über einen längeren Zeitraum (hier: über vier Monate) unbestattet zu lassen, weil zeitnah nicht geklärt werden kann, ob (andere) leistungsfähige - und -willige Verpflichtete vorhanden sind. Das fiskalische Interesse der Kommune, für die Bestattungskosten zunächst nicht aufkommen zu müssen, tritt insoweit zurück.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 7. August 2006 wird zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 7. August 2006 abgeändert:

Der Antragsgegner wird einstweilen verpflichtet, darlehensweise die im Sinne des § 74 SGB XII erforderlichen Kosten der Bestattung der Mutter der Antragstellerin, Frau E. N., zu übernehmen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das gesamte Verfahren.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gewährt und Herr Rechtsanwalt Dr. Dr. W. zur Vertretung beigeordnet.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 7. August 2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 SGG), ist zulässig (§§ 172, 173 SGG) und in der Sache begründet.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 (einstweiliger Rechtsschutz bei Anfechtungsklagen) nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist § 74 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Nach dieser Vorschrift sind die erforderlichen Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit den hierzu Verpflichten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erfüllt die Antragstellerin die Anspruchsvoraussetzungen der Vorschrift.

Die Antragstellerin ist “Verpflichtete„ im Sinne des § 74 SGB XII. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die Verpflichtung der Antragstellerin aus der zivilrechtlichen Regelung des § 1968 BGB ergibt, wonach der Erbe die Kosten der Beerdigung des Erblassers trägt. Die Antragstellerin ist jedenfalls auf Grund der landesrechtlich geregelten öffentlichrechtlichen Bestattungspflicht eine Verpflichtete im Sinne der Vorschrift.

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Hamburgisches Bestattungsgesetz (HmbBestattG) muss jede Leiche bestattet werden. Für die Bestattung haben gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 HmbBestattG die Angehörigen zu sorgen. Bestattungspflichtig sind vorliegend gemäß § 22 Abs. 4 HmbBestattG gleichrangig die Antragstellerin und ihre drei Brüder. Die genannten bestattungsrechtlichen Vorschriften regeln zwar unmittelbar nur die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und genügen damit dem ordnungsrechtlichen Zweck, im öffentlichen Interesse die zeitnahe Durchführung der Bestattung zu gewährleisten, ohne damit die Begräbniskostenregelungen nach anderen Vorschriften zu präjudizieren. Daraus folgt jedoch nicht, dass die aus der Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht resultierenden Kosten, wie Entgeltansprüche des Bestattungsunternehmers und Friedhofsgebühren, nicht Gegenstand einer übernahmefähigen Kostenverpflichtung im Sinne des § 74 SGB XII sein könnten. Soweit die Zuweisung der öffentlich-rechtlichen Verantwortung für die Bestattung bei dem dazu Verpflichteten Kosten auslöst, werden diese ihm durch das Landesrecht zugewiesen und wird der Bestattungspflichtige in Erfüllung seiner öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht zum Verpflichteten, die Bestattungskosten zu tragen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.06.1997, BVerwGE 105,51, und BVerwG, Urt. v. 22.02.2001, BVerwGE 116, 287, zu der ...

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