Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelregress. Verordnung von Interleukin 2 zur kombiniert subkutan-inhalativen Anwendung bei fortgeschrittenem Nierentumor
Leitsatz (amtlich)
Wird Interleukin 2 zur kombiniert subkutan-inhalativen Anwendung beim metastasierenden Nierenzellkarzinom zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet, kann gegen den behandelnden Arzt ein Regress ausgesprochen werden, weil durch eine solche Verordnung die arzneimittelrechtliche Zulassung für den Wirkstoff überschritten wird und weder ein anders nicht zu befriedigender unabweisbarer Bedarf vorliegt noch die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Use belegt ist. Dies gilt für die zur ambulanten Behandlung ermächtigten Hochschulambulanzen in gleicher Weise wie für die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzte. Auch bei verfassungskonformer Auslegung des Leistungsrechts im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf Interleukin 2 zur kombiniert subkutan-inhalativen Anwendung nicht verordnet werden, weil sich eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf dieser lebensbedrohlichen Erkrankung nicht feststellen lässt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist ein Arzneimittelregress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise im Rahmen der ambulanten Behandlung eines Patienten mit Nierenzellkarzinom im fortgeschrittenen (metastasierenden) Stadium durch Immuntherapie im Streit.
Die Klägerin ist eine gemäß § 117 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) zur ambulanten Versorgung von Versicherten ermächtigte Poliklinik (Hochschulklinik). Sie hat den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (UKE-Gesetz vom 12. September 2001, HmbGVBl S. 375).
Im dritten Quartal 1999 wurde bei der Klägerin der 1940 geborene, 1999 verstorbene W. S., im vierten Quartal 2000 und im ersten Quartal 2001 wurde der 1941 geborene, am 2002 verstorbene D. H., beide Mitglieder der Beigeladenen, jeweils wegen eines in die Lunge metastasierten Nierenzellkarzinoms durch Immuntherapie ambulant behandelt. Für den Bereich der Klägerin bestand für Patienten mit pulmonal oder/und mediastinal metastasiertem Nierenzellkarzinom seit dem 22. November 1996 eine generelle Arbeitsanweisung (Standard-Operation-Protocol) zur inhalativen Interleukin-2-Applikation als Standardanwendung. Diese Anweisung sah die Anwendung von Interleukin-2 gleichzeitig als Inhalation und als systemische Gabe vor, wobei die Inhalation fünf Mal pro Woche und die systemische Gabe subkutan drei Mal pro Woche erfolgen und anstelle von Interleukin-2 subkutan teilweise auch Interferon-alpha eingesetzt werden sollte. Die Interleukin-Dosis sollte im Verhältnis 90:10 zwischen lokaler und systemischer Gabe aufgeteilt werden. Nach einer im Regelfall stationären Einleitung der Therapie, bei welcher der Erkrankte vor allem die Bedienung des Inhalationsgeräts und die gebrauchsfertige Zubereitung des Medikaments zu erlernen hatte, konnte diese ambulant weitergeführt werden (vgl. Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein vom 27.04.1999, Blatt 107 ff. der Akte S 23 KR 76/02 ER sowie E. H1, H. H4, R. A. Jörres, Inhalative Immuntherapie des pulmonal metastasierten Nierenzellkarzinoms in: Der Onkologe 9, 2004, 945, 946 - von der Klägerin in Kopie als Anlage K 9 zum Schriftsatz vom 9. September 2005 im Verfahren L 2 KA 37/06 eingereicht - und Nr. 40 des Anlagenbandes zur Sachakte des Beklagten).
Das Nierenzellkarzinom ist ein zwar eher seltenes, jedoch nach dem Prostata- und dem Blasenkarzinom das dritthäufigste urologische Malignom. Das Prädilektionsalter liegt bei etwa 62 Jahren, die geschätzte Letalität bei etwa 40 %. Spontanremissionen kommen in etwa 1% der Fälle vor. Da Nierenzellkarzinome gegenüber den meisten Zytostatika resistent sind, ist eine signifikante Verbesserung der Prognose durch Chemotherapie nicht zu erwarten. Marginale Remissionsraten konnten insoweit mit den Zytostatika Vinblastin oder 5-Fluorouracil erzielt werden. Auch Strahlen- und Hormontherapien sind bisher nur wenig wirksam und haben - wie die Chemotherapie - palliativen (die Beschwerden lindernden) Charakter. Beim metastasierenden Tumor liegt die mittlere Überlebensrate im Schnitt bei unter 12 Monaten. Hier kann die Entfernung des Primärtumors aus palliativen Gründen oder in einem kombinierten Behandlungskonzept erfolgen. Der Reduzierung der Tumorlast kann dann eine systemische (auf den ganzen Körper bezogene) Therapie (Immuntherapie, Antikörpertherapie oder Therapie mi...