Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Ersatzzeit. Zwangsarbeit. Haftähnliche Bedingungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Klammerzusatz der Vorschrift “§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz” ist im Sinn einer Legaldefinition der freiheitsentziehenden und freiheitseinschränkenden Maßnahmen zu verstehen, die zur Anerkennung der Zeit auch als Verfolgungsersatzzeit führen kann.
2. Zwangsarbeit i.S.v. § 43 Abs. 3 BEG ist einer Freiheitsentziehung nach eben dieser Bestimmung nur dann gleichzustellen, wenn sie unter haftähnlichen Bedingungen ausgeübt worden ist.
Normenkette
SGB VI § 250 Abs. 1 Nr. 4 Fall 1, Nr. 4 Fall 2; BEG § 43 Abs. 3, §§ 47, 1; RVO § 1251
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. August 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die rentensteigernde Berücksichtigung des Monats Oktober 1939 als einer weiteren Ersatzzeit.
Die im ... 1924 in C. (Polen/Wojewodschaft £ód-) geborene Klägerin ist die Witwe des am ... 2002 verstorbenen S. (künftig bezeichnet als der Versicherte). Dieser war am 10. Mai 1914 in B. (Polen/Wojewodschaft £ód-) als Sohn jüdischer Eltern geboren worden und hatte seit seiner im Juli 1950 erfolgten Auswanderung aus Deutschland, wo er 1946 die Ehe mit der Klägerin eingegangen war, bis zu seinem Ableben in den USA gelebt, deren Staatsangehörigkeit er im November 1954 erworben und wo er später eine Rente aus der dortigen Sozialversicherung bezogen hatte.
Er wurde als rassisch Verfolgter im Sinne der jeweils einschlägigen Bestimmungen zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung anerkannt und für verfolgungsbedingte Schäden an Gesundheit und an Freiheit entschädigt. Bereits im Juni 1950 bewilligte ihm das Bayrische Landesentschädigungsamt (BLEA) eine Haftentschädigung gemäß § 15 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) für eine Freiheitsberaubung von 59 vollen Monaten im Ghetto £ód- vom Mai 1940 bis Oktober 1944 sowie im KZ Oranienburg vom Oktober 1944 bis April 1945 (tatsächlich umfassten die Zeiträume insgesamt 60 Monate). Der Versicherte hatte in seinem Antrag vom 21. Januar 1950 zu Zeiten des Freiheitsentzuges die folgenden Angaben gemacht:
- Zwangsarbeit Belchatow von Ende Sept. 1939 bis Februar 1940
- Ghetto £ód- Februar 1940 bis Sept. 1944
- Konzentrationslager Oranienburg Oktober 1944 bis Anfang Mai 1945 Er hatte in diesem Zusammenhang eine von ihm vor dem Oberrabbinat Hannover abgegebene eidesstattliche Versicherung vom 3. Februar 1949 vorgelegt, der zufolge er vom Oktober 1939 bis Juni 1940 zur Arbeit in Belchatow zwangsverpflichtet gewesen sei. In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 19. Dezember 1949 hatte er angegeben, er sei von Februar 1940 bis Oktober 1944 im Ghetto £ód- gewesen. Zur Stützung seines gleichzeitig gestellten - später abgelehnten - Antrags zur Erlangung einer Entschädigung für einen Schaden an Eigentum und Vermögen hatte er die eidesstattliche Versicherung des seinerzeit wie er in N. ansässigen Tischlermeisters H. vom 21. Januar 1950 vorgelegt, der zufolge dieser in dem Tischlereibetrieb des Versicherten in Belchatow 1936 als Lehrling eingetreten und dort bis zum Einrücken der Deutschen und zur Schließung des Betriebs Ende September 1939 beschäftigt gewesen sei. Er sei in der Folgezeit mit dem Versicherten zur Zwangsarbeit eingesetzt gewesen.
Im Oktober 1956 beantragte der Kläger eine weitere Entschädigung wegen des Tragens des Judensterns ab dem 15. November 1939 bis zu dem im o. g. Feststellungsbescheid angegebenen Beginn der Inhaftierung. In seiner am 10. Dezember 1956 vor dem notary public in New York abgegebenen eidesstattlichen Versicherung gab er hierzu an, die jüdische Bevölkerung von Belchatov habe schon einige Zeit nach Beginn der deutschen Besetzung ein Kennzeichen tragen müssen. Er beantrage hierfür eine Entschädigung ab Dezember 1939. Im Sommer 1957 bewilligte das BLEA eine Entschädigung für eine Freiheitsbeschränkung durch Tragen des Judensterns gemäß § 47 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz - BEG - v. 18.09.1953 BGBl. I S. 1387) für weitere vier Monate ab Januar 1940.
Im September 1957 erkannte das BLEA einen verfolgungsbedingten Schaden an Körper und Gesundheit in Gestalt eines Zustandes nach Verbrühungen am linken Unterschenkel mit atrophischer Hautnarbenbildung und beginnender Krampfaderbildung an und bewilligte dem Versicherten hierfür eine Rente. Im seinem vorbereitenden Gutachten vom 3. Februar 1955 hatte Dr. C1, New York, berichtet, der Versicherte habe bei der am 21. Januar 1955 durchgeführten Untersuchung angegeben, er habe sich ab 1940 bis 1943 im Ghetto aufgehalten, danach bis zu seiner Befreiung 1945 in verschiedenen KZ. Dieselben Angaben machte er gegenüber diesem Sachverständigen bei der Untersuchung am 26. Juni 1956.
Im April 2001 beantragte der Ver...