Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Erstattungsanspruch des Integrationsamts gegen Bundesagentur für Arbeit. Rehabilitationsträger. Kosten für Gebärdensprachdolmetscher. duale Ausbildung. Berufsschulunterricht. Bindung an eine Zusage der Kostenübernahme. Vertrauensschutz

 

Orientierungssatz

1. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat als zuständiger Rehabilitationsträger die notwendigen Aufwendungen für einen Gebärdensprachdolmetscher, die im Rahmen einer dualen Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf bei einem Besuch der Berufsschule anfallen, dem Integrationsamt zu erstatten.

2. Hat die BA eine unbedingte Kostenzusage dem Grunde nach für die restliche Zeit der Ausbildung gegeben und das Integrationsamt im Vertrauen hierauf die Leistungen erbracht, ohne gegebenenfalls eine weitere Zuständigkeitsprüfung und eventuelle Weiterleitung nach § 14 SGB 9 vornehmen zu können, ist der Widerruf der Kostenzusage treuwidrig und damit unwirksam.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.06.2013; Aktenzeichen B 11 AL 8/12 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens. 3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von noch 24.267,20 EUR der von ihr als Integrationsamt im letzten Ausbildungsjahr des gehörlosen, am XXXXX1981 geborenen A.D. (im Folgenden: Betroffener) für dessen Berufsschulunterricht aufgewendeten Kosten der Tätigkeit von Gebärdensprachdolmetschern.

Der von Geburt an absolut gehörlose, auf gebärdenabhängige Kommunikation angewiesene Betroffene, für den das Versorgungsamt einen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 sowie die Merkzeichen H, RF und Gl feststellte, besuchte bis 1998 den Hauptschulzug einer Schule für Gehörlose, absolvierte nach dem dortigen erfolgreichen Abschluss mehrere Berufspraktika und erwarb am R.-W. Berufskolleg für Hörgeschädigte die Fachoberschulreife im Bereich Metalltechnik.

Nachdem ein erstes von der Beklagten nach § 102 Abs. 1 Nr. 1 lit. b des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) gefördertes Berufsausbildungsverhältnis zum Werkzeugmechaniker bei der L. AG durch arbeitgeberseitige Kündigung während der Probezeit geendet hatte, schloss der Betroffene am 10.1.2001 einen von der Handwerkskammer H. geprüften und in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragenen Berufsausbildungsvertrag zum Elektroinstallateur mit der Elektrohaus V. GmbH. Die Ausbildungszeit betrug 3,5 Jahre, wobei das Berufsausbildungsverhältnis mit einer regelmäßigen täglichen Ausbildungszeit von 8 Stunden an vier Tagen je Woche und 6,5 Stunden an einem Tag je Woche am 1.2.2001 begann und am 31.7.2004 endete. Die betriebliche Ausbildung wurde ergänzt durch in Blöcken von je zweimal 3,25 Wochen pro (Schul-)Halbjahr durchgeführten Berufsschulunterricht an der Staatlichen Gewerbeschule Informations- und Elektrotechnik in H. à maximal 7 Stunden täglich (duale Ausbildung).

Auch diese Ausbildung wurde von der Beklagten als "Reha-spezifische Einzelmaßnahme" im Sinne einer "Reha-spezifischen Ausbildungsbegleitung" der betrieblichen Berufsausbildung für sinnes- und körperbehinderte junge Erwachsene gefördert. Zwecks intensiver sozialpädagogischer Betreuung schloss die Beklagte einen unter anderem die Frage, wer die Dolmetscherkosten für den betrieblichen Teil der Ausbildung zu tragen habe, regelnden Vertrag "nach § 102 Abs. 1 Nr. 1 lit. b SGB III" mit dem eingetragenen Verein "Freunde blinder und sehbehinderter Kinder", der seinerseits einen Kooperationsvertrag mit dem Ausbildungsbetrieb schloss.

Die Kosten für die im Berufsschulunterricht eingesetzten Gebärdensprachdolmetscher für das erste Schuljahr innerhalb der Ausbildung (August 2001 bis Juli 2002) trug die für Schule und Berufsbildung zuständige Behörde der Klägerin (im Folgenden: BSB), weil sie sich nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) (Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung als Leistung der Eingliederungshilfe) für zuständig hielt.

Den entsprechenden Antrag des Betroffenen vom 16.6.2002 für das zweite Schuljahr (August 2002 bis Juli 2003) lehnte die BSB mit Bescheid vom 12.8.2002 dem Betroffenen gegenüber unter Hinweis auf die fehlende Zuständigkeit und die am selben Tag erfolgte Weiterleitung an die bezirkliche Sozialdienststelle seines Wohnortes ab. Da der Betroffene die Berufsschule nicht im Rahmen seiner allgemeinen Schulpflicht bzw. im Zusammenhang mit einem höheren Schulabschluss als weiterführende Schule, sondern allein im Rahmen einer Ausbildung besuche, handele es sich um eine "schulische Ausbildung für einen angemessenen Beruf", so dass § 40 Abs. 1 Nr. 5 BSHG einschlägig sei. Die angegangene bezirkliche Sozialabteilung wiederum leitete mit Schreiben vom 20.9.2002 den Antrag "zuständigkeitshalber" an die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Integrationsamt weiter.

Mit Schreiben vom 2.10.2002 gab die Klägerin der Beklagten den Antrag des Betroffenen ...

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