Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirkung einer vom Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlung

 

Orientierungssatz

1. Die von einem Prozessbevollmächtigten vorgenommene Prozesshandlung ist für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wäre. Weisungen im Innenverhältnis zwischen Mandant und Prozessbevollmächtigten beeinträchtigen die Wirksamkeit von Prozesserklärungen nicht. Die Kündigung einer Prozessvollmacht durch den Vollmachtgeber wird erst mit der entsprechenden Mitteilung an das Gericht wirksam (Anschluss BSG Urteil vom 18. 11. 1997, 2 RU 45/96).

2. Die Beweislast für Zugang und Zeitpunkt von Schriftstücken liegt beim Beteiligten. Der Beweis der Absendung eines einfachen Briefs per Post stellt keinerlei Beweis für dessen Zugang dar.

3. Die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Nichtigkeit, Widerruf und Anfechtung sind auf gestaltende Prozesshandlungen nicht anwendbar.

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren durch Zurücknahme der Berufung erledigt ist.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist zum einen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe und die Rückforderung von Leistungen streitig, zum anderen die Frage, ob der Kläger die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2007 wirksam zurückgenommen hat.

Mit der Klage, die zuletzt von den Rechtsanwälten P. aufgrund einer mit Datum vom 10. Januar 2006 erteilten Prozessvollmacht weiter betrieben worden ist, hatt sich der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 gewandt, mit der die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für Zeiten zwischen dem 7. Januar und dem 31. Dezember 2004 zurückgenommen sowie die Erstattung von 7.121,16 Euro Arbeitslosenhilfe und 1.089,54 Euro Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verlangt hat. Mit Urteil vom 27. September 2007 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben die Rechtsanwälte P. am 8. Januar 2008 Berufung beim Landessozialgericht Hamburg (LSG) eingelegt. Mit Schreiben vom 20. März 2008, bei Gericht als Telefax eingegangen am gleichen Tag und im Original am 25. März 2008, ist die Berufung von den Rechtsanwälten P. zurückgenommen worden. Einem Telefonvermerk vom 25. März 2008 zufolge hat der Kläger an diesem Tag bei Gericht angerufen und erklärt, die Rücknahme sei vorschnell erfolgt. Die Berufung solle auf keinen Fall zurückgenommen werden. In einem späteren Telefonat hat er angegeben, dass er die Vollmacht bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rücknahme bei Gericht eingegangen sei, widerrufen habe. Mit Schreiben vom 6. April 2008 hat der Kläger schließlich "sofortigen Widerspruch" gegen die Berufungsrücknahme erklärt. Mit Schreiben vom 15. Mai 2008 haben die Rechtsanwälte P. mitgeteilt, dass der Kläger von ihnen nicht mehr vertreten werde. Von diesem Zeitpunkt an ist der Kläger postalisch nicht mehr zu erreichen gewesen. Er hat sich lediglich noch einmal mit einem Telefax vom 27. Januar 2010 bei Gericht gemeldet, das ohne eine Adressangabe von einem Call-Shop am 28. Januar 2010 abgesandt worden ist, und hat Fristverlängerung für die Berufungsbegründung beantragt. Zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. April 2011 hat der Senat den Kläger deshalb durch öffentliche Zustellung geladen.

Der Senat hat die Berufung durch Urteil vom 27. April 2011 mit der Begründung zurückgewiesen, dass sich die Berufung durch die wirksame Zurücknahmeerklärung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20. März 2008 erledigt habe. Dies folge aus § 156 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG.) Danach bewirke die Zurücknahme den Verlust des Rechtsmittels. Die Zurücknahme hätten die Rechtsanwälte P. als Prozessbevollmächtigte des Klägers wirksam erklärt. Dies gelte selbst dann, wenn der Kläger, wie von ihm behauptet, den Mandatsvertrag zum Zeitpunkt der Abgabe der Zurücknahmeerklärung bereits gekündigt habe. Denn selbst wenn die Rechtsanwälte P. im Innenverhältnis zum Kläger nicht mehr befugt gewesen sein sollten, für den Kläger Prozesserklärungen abzugeben, so gölten sie kraft der ihnen erteilten und dem Gericht bekannt gemachten Prozessvollmacht im Außenverhältnis zum Gericht doch noch als dessen Prozessbevollmächtigte. Damit müsse sich der Kläger die Prozessführung durch die Rechtsanwälte P. zurechnen lassen. Dies schließe die Erklärung über die Rücknahme der Berufung, die von der erteilten Prozessvollmacht gedeckt gewesen sei, ein. Ein Widerruf oder - wie von dem Kläger formuliert - ein Widerspruch gegen die Rücknahme sei nicht möglich.

Gegen die mit jenem Urteil ausgesprochene Nichtzulassung der Revision hat der Kläger am 1. Juli 2011 Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) erhoben. Zur Begründung hat er sich darauf bezogen, dass die öffentliche Zustellung der Ladung fehlerhaft erfolgt sei. Der Verfahrensm...

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