Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse. Verstoß gegen Treu und Glauben. schutzwürdiges Vertrauen nur bei vollständiger Bezahlung. keine Abhängigkeit der Kodierung der Prozedur 8-550.1 von einem Mindestalter
Orientierungssatz
1. Nachforderungen von Krankenhäusern sind nur nachträglich geltend gemachte Forderungen, die über die ursprüngliche Forderung betragsmäßig hinausgehen. Eine Nachforderung liegt demnach nicht vor, wenn die ursprüngliche Forderung in unveränderter Höhe weiterhin geltend gemacht, aber (teilweise) anders begründet wird.
2. Zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben in den Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse (vgl BSG vom 18.7.2013 - B 3 KR 22/12 R = SozR 4-2500 § 276 Nr 2, vom 22.11.2012 - B 3 KR 1/12 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 28, vom 13.11.2012 - B 1 KR 6/12 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 27, vom 17.12.2009 - B 3 KR 12/08 R = BSGE 105, 150 = SozR 4-2500 § 109 Nr 20 und vom 8.9.2009 - B 1 KR 11/09 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 19).
3. Das Vertrauen der Krankenkasse in den endgültigen Abschluss eines Abrechnungsfalles ist nur dann schutzwürdig, wenn sie die Rechnung des Krankenhauses vollständig bezahlt hat, denn in diesem Fall hat sie regelmäßig keinen Anlass, mit nachträglichen Korrekturen zu rechnen.
4. Die Kodierung der Prozedur 8-550.1 nach dem OPS 2005 setzt kein starres Mindestalter von 60 Jahren voraus.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. März 2012 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.904,83 nebst 5 % Zinsen seit dem 20. Juli 2007 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung.
Die 1948 geborene und bei der Beklagten versicherte K.K. wurde in der Zeit vom 22. November bis 8. Dezember 2005 in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus stationär behandelt. Die Klägerin verlangte hierfür von der Beklagten mit Rechnung vom 13. Dezember 2005 eine Vergütung in Höhe von EUR 5.344. Als Hauptdiagnose war I63.4 (Hirninfarkt durch Embolie zerebraler Arterien) nach der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (hier: 10. Revision, Version 2005 - ICD-10; § 301 Abs. 2 S. 1 SGB V) verschlüsselt worden. Als Nebendiagnosen waren unter anderem G40.9 (Epilepsie), G81.9 (Hemiparese und Hemiplegie), I10.00 (Benigne essentielle Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise), I48.11 (Chronisches Vorhofflimmern), I50.0 (Herzinsuffizienz), R47.0 (Dysphasie und Aphasie), U50.20 (Mittlere motorische Funktionseinschränkung) sowie U51.22 (Schwere kognitive Funktionseinschränkung) aufgeführt. Ferner kodierte die Klägerin unter anderem die Prozedur 8-550.1 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung) nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS, hier: Version 2005) kodierte und gelangte dadurch zu der Diagnosebezogenen Fallgruppe (Diagnosis Related Group - DRG) B44Z (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen des Nervensystems). In der Abrechnung war angegeben, dass die Behandlung auf der Inneren Abteilung erfolgt sei.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 bat die Beklagte die Klägerin um eine korrigierte Entlassungsanzeige und eine neue Rechnung, weil der OPS 8-550.1 fehlerhaft kodiert sei, da die Behandlung nach Angaben des Krankenhauses in der Inneren Abteilung erfolgt sei und eine geriatrische Komplexbehandlung somit nicht stattgefunden haben könne. Nachdem die Klägerin hierauf nicht reagierte, zahlte die Beklagte ihr am 27. Februar 2006 einen Betrag von EUR 3.439,17, wobei sie der Abrechnung die DRG B70B zugrunde legte, die sich ohne die streitige Prozedur ergibt.
Mit Rechnung vom 26. Juni 2007 forderte die Klägerin erneut eine Vergütung in Höhe von EUR 5.344, wobei sie wiederum den OPS 8.550.1 sowie die DRG B44Z zugrunde legte. Die Rechnung enthielt nunmehr die Angabe, dass die Behandlung in der Abteilung für Geriatrische Frührehabilitation erfolgt sei. Der hinsichtlich der Diagnosen unveränderte Datensatz nach § 301 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) wurde ebenfalls am 26. Juni 2007 übermittelt. Die Beklagte bezahlte die Rechnung nicht, sondern verwies auf ihr Schreiben vom 29. Dezember 2005.
Mit ihrer am 16. Dezember 2009 erhobenen Klage hat die Klägerin den Restbetrag von EUR 1.904,83 geltend gemacht. Die Beklagte hat dagegen eingewandt, dass die für Nachforderungen des Krankenhauses vertraglich vereinbarte Sechsmonatsfrist abgelaufen gewesen sei. Auch sei die Nachforderung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen, da sie nicht mehr zeitnah nach Übersendung und Bezahlung der Rechnung erfolgt sei. Schließlich könne der OPS 8-550.1 auch deshalb nicht kodiert werden, weil nach den Begutachtungshinweisen des Medizinischen Dienste...