Entscheidungsstichwort (Thema)
Integrierte Versorgung. Gesamtvergütung. Einbehalt zum Zweck der Anschubfinanzierung. Bindung des Rechtsmittelgerichts an Entscheidung über die Zulässigkeit einer Klageänderung. Verjährung des Anspruchs auf Zahlung der Gesamtvergütung. Stufenklage. Gegenrecht auf Mitteleinbehaltung zur Anschubfinanzierung. Schuldenerlass kraft Gesetzes. Zweckgemäße Verwendung einbehaltener Mittel. Verwendungsnachweis. Einschätzungsprärogative. Hemmung der Verjährung. Auskunftsanspruch. Meistbegünstigungsprinzip
Orientierungssatz
1. In Zusammenhang mit Einbehalten zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung sind grundsätzlich zwei verschiedene Anspruchsgrundlagen streng zu trennen, die auf unterschiedlichen Rechtsgründen und unterschiedlichen Lebenssachverhalten beruhen, § 85 Abs. 1, Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB 5 iVm dem Gesamtvertrag und § 140d Abs 1 S 8 SGB 5.
2. Entscheidet ein Gericht zur Sache und bejaht es dabei ausdrücklich oder konkludent die Zulässigkeit einer Klageänderung, so ist das Rechtsmittelgericht daran gebunden.
3. Der Vorschrift des § 140d Abs 1 S 8 SGB 5 iVm § 140d Abs 1 S 4 SGB 5 in der jeweiligen Fassung vom 26.3.2007 lässt sich nicht entnehmen, dass Krankenkassen verpflichtet gewesen wären, alle Geldmittel, die sie im Wege des § 140d Abs 1 S 1 SGB 5 einbehalten hatten, an die Kassenärztlichen Vereinigungen auszuzahlen, wenn sie deren Verwendung nicht bis zum 31.3.2009 dargetan hatten.
4. Die Regelung des § 140d Abs 1 S 5 SGB 5 idF vom 26.3.2007 stellt klar, dass die Rückzahlungsverpflichtung der Krankenkassen an die Krankenhäuser nur für die Vergangenheit, also für die Mittel, die in den Jahren 2004 bis 2006 einbehalten wurden, entfällt. Für die in den Jahren 2007 und 2008 einbehaltenen Mittel besteht eine Rückzahlungsverpflichtung.
5. Nach wohl überwiegendem Verständnis richtet sich die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung der Gesamtvergütung in erster Linie nach dem Gesamtvertrag; wo dieser keine einschlägige Bestimmung enthält, verjährt der Anspruch in vier Jahren nach Ende des Kalenderjahrs, in dem er entstanden ist (vgl LSG Stuttgart vom 10.5.2000 - L 5 Ka 1050/99).
6. Das Sozialrecht kennt eigene Rechtsvorschriften über die Verjährung und der Zweck solcher Verjährungsvorschriften - der Eintritt von Rechts- und Planungssicherheit - greift im Verhältnis zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen ebenso wie andernorts auch.
7. Die der Stufenklage eigentümliche Verknüpfung von unbestimmtem Leistungsanspruch und vorbereitendem Auskunftsanspruch steht nicht zur Verfügung, wenn die Auskunft überhaupt nicht dem Zwecke einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dienen, sondern dem Kläger sonstige, mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht in Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (vgl BGH vom 24.5.2012 - IX ZR 168/11 = NJW 2012, 2180). Auch § 123 Halbs 2 SGG zwingt nicht zu einer anderen Auslegung.
8. Das BSG charakterisiert den rechtlichen Vorgang des in § 140d Abs 1 S 1 SGB 5 idF vom 22.12.2006 beschriebenen "Einbehaltens" als Erklärung der Krankenkasse gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung, die geltend gemachte Forderung in Höhe der Einbehaltung durch Aufrechnung (mit einem - wie das BSG es nennt - "Gegenrecht auf Mitteleinbehaltung zur Anschubfinanzierung") zu erfüllen (vgl BSG vom 2.11.2010 - B 1 KR 11/10 R = BSGE 107, 78 = SozR 4-2500 § 140d Nr 2).
Normenkette
SGB V a.F. § 140d Abs. 1; SGB V § 85 Abs. 1, 2 S. 1, § 140a Abs. 1 S. 1, § 69 Abs. 1 S. 3; BGB § 204 Abs. 1; SGG §§ 99, 123; ZPO § 254
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Juli 2013 aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine höhere Gesamtvergütung für die Quartale I/2005 bis einschließlich IV/2008.
Die Hamburg Münchener Krankenkasse (HMK) war eine Ersatzkasse, die mit Wirkung zum 1. Januar 2010 in die (damalige) Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) eingegliedert worden ist. Die jetzige Beklagte ist mit Wirkung zum 1. Januar 2012 aus der Fusion der DAK mit zwei Betriebskrankenkassen hervorgegangen.
Die HMK behielt in den Quartalen I/2005 bis einschließlich IV/2008 von den nach § 14 Abs. 2 des Gesamtvertrages zwischen der Beklagten und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. sowie dem AEV-Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. vom 11. April 1996 (i.F.: Gesamtvertrag) zu leistenden Abschlagszahlungen auf die Gesamtvergütung Beträge in verschiedener Höhe ein (i.F.: Einbehalte), die sich auf insgesamt 181.117,84 Euro beliefen. Ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Auskünfte der Gemeinsamen Registrierungsstelle zur Unterstützung der Umsetzung des § 140d SGB V, die bei der Bundesgeschäftsstelle Q. (i.F.: gemeinsame Registrierungsstelle) eingerichtet ist, beliefen sich die Einbehalte im Jahr 2007 auf einen Betrag von 2.345.841,13 Euro (davon gegenüber der Klägerin 45....