Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme der Kosten von Behandlungen durch einen Nichtvertragsarzt. Kostenerstattung. Vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeiten. Vertrauensschutz

 

Orientierungssatz

1. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB 5 setzt voraus, dass eine von der Krankenkasse geschuldete Leistung infolge eines Mangels im Leistungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Damit ist erforderlich, dass der Versicherte einen entsprechenden Sachleistungsanspruch hat, den die Krankenkasse nicht bzw. nicht rechtzeitig erfüllen kann.

2. Ein Sachleistungsanspruch ist aber ausgeschlossen, wenn ein Arzt in Anspruch genommen wird, der nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist.

3. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Behandlung durch einen Vertragsarzt nicht möglich oder nicht zumutbar ist und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nichtvertragsarztes angewiesen ist.

4. Solange geeignete vertragsärztliche Leistungen zur Verfügung stehen, ist eine Kostenerstattung von einem Nichtvertragsarzt erbrachter ärztlicher Leistungen ausgeschlossen.

 

Normenkette

SGB V § 13 Abs. 1, 3, § 76 Abs. 1

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. April 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten von Behandlungen durch einen Nichtvertragsarzt.

Die 1947 geborene Klägerin leidet nach Angaben unter anderem ihres behandelnden Arztes Dr. N. seit Jahren an vielfältigen Allergien, Medikamentenunverträglichkeiten und vor allem an einer ausgeprägten Multiplen Chemikalienunverträglichkeit (Multiple Chemical Sensitivity - MCS) mit schweren körperlichen, neurologischen und psychischen Symptomen. Aufgrund ihrer Erkrankung begab sie sich erstmals im Jahr 1988 in Behandlung bei dem Nichtvertragsarzt R., der seine Praxis unter dem Namen "I." zunächst in B. führte und nunmehr in W. hat. Die Behandlungskosten wurden ihr zunächst von der Beklagten erstattet.

Auf Anfrage der Beklagten teilte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung H. (MDK) in einer Stellungnahme vom 29. April 1996 mit, dass ausreichende Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung stünden. Nach der mehrjährigen Behandlung liege nun außerdem der Nachweis vor, dass die Behandlungen im I. fehlgeschlagen seien. In einem Gutachten vom 18. April 1997 vertrat der MDK die Auffassung, dass die im I. durchgeführte Diagnostik und Behandlung schulmedizinischen Konzepten widerspreche. Selbst normale Untersuchungsergebnisse würden dort subjektiv als Umwelterkrankung interpretiert. Bei der Klägerin sei zwingend eine Ausschlussdiagnostik erforderlich, die in Vertragseinrichtungen durchgeführt werden könne.

Unter Bezugnahme auf die Ausführungen des MDK teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 8. September 1998 mit, dass eine weitere Beteiligung an den Kosten außervertraglicher Behandlungsmethoden im I. nicht erfolgen könne. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch und reichte mit Schreiben vom 10. Oktober 1998 weitere Rechnungen des Instituts für Umweltkrankheiten mit der Bitte um Kostenerstattung ein. Mit Schreiben vom 19. November 1998 übernahm die Beklagte letztmalig die geltend gemachten Kosten, wies aber zugleich darauf hin, dass zukünftige Kosten nicht mehr erstattet würden. Mit Bescheid vom 21. August 2000 lehnte sie eine weitere Kostenübernahme für privatärztliche Behandlungen erneut ab. Den Widerspruch der Klägerin wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2002 zurück. Der von der Klägerin in Anspruch genommene Arzt sei nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und könne daher Patienten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln. Darüber hinaus entspreche die Behandlungsmethode nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Soweit in der Vergangenheit im Einzelfall Kosten erstattet worden seien, lasse sich daraus ein Anspruch für die Zukunft nicht ableiten.

Mit ihrer dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Diagnose MCS sei bei ihr gesichert. Für diese Erkrankung habe die Schulmedizin keine Therapie anzubieten. Sie benötige daher weitere Behandlungen durch den Nichtvertragsarzt R. im I ...

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin Prof. Dr. B1 vom 1. Oktober 2003 eingeholt. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ausgeführt, dass eine ausreichend gesicherte Diagnose nicht gestellt werden könne, da die Klägerin eine weiterführende Diagnostik wegen der Befürchtung von Symptomverschlechterungen abgelehnt habe. Die von ihr angegebenen Beschwerden ähnelten jedoch dem Symptomkomplex einer MCS. Eine verbindliche Definition der MCS existiere nicht, sie beschreibe vielmehr eine Vielzahl unspezifischer Kernsymptome wie Müdigkei...

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