Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch der weiblichen Versicherten mit totalem Haarverlust auf Versorgung mit einer Echthaarperücke durch die Krankenkasse - Begrenzung auf den Festbetrag
Orientierungssatz
1. Der totale Haarverlust stellt bei einer Frau eine Behinderung i. S. des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB 5 dar. Die Versicherte hat damit Anspruch auf angemessene Hilfsmittelversorgung durch Haarersatz. Zum Ausgleich der Behinderung ist die Versorgung mit einer Echthaarperücke erforderlich, wirtschaftlich und überschreitet nicht das Maß des Notwendigen, §§ 2 Abs. 1 S. 1, 12 Abs. 1 SGB 5.
2. Der Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit einer Echthaarperücke ist regelmäßig durch die Gewährung des dafür ausgehandelten Festbetrags erfüllt.
3. Die Krankenkasse erfüllt ihre Leistungspflicht mit der Übernahme des Festbetrags, § 12 Abs. 2 SGB 5. Der Differenzbetrag bis zum Abgabepreis des Leistungserbringers fällt dem Versicherten zur Last (BSG Urteil vom 23. 1. 2003, B 3 KR 7/02 R).
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes abgeändert.
2. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 19.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2018 verurteilt, die Klägerin von Kosten in Höhe von 529,55 Euro gegenüber dem Hilfsmittellieferanten freizustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin Anspruch auf Freistellung von den Kosten für eine Versorgung mit einem Echthaarteil nach Maßanfertigung hat.
Die 1962 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Eine notwendige Chemotherapie im Jahr 2018 führte zu einem vollständigen Haarverlust des Kopfes.
Die Klägerin beantragte am 19.06.2018 unter Vorlage eines Kostenvoranschlages für ein Echthaarteil nach Maßanfertigung der Firma E. GmbH und einer Verordnung des Facharztes für Onkologie Dr. T. vom 23.05.2018 über die Versorgung mit einem „med. Echthaarersatz bei Langzeittherapie“ die Kostenübernahme für ein handgeknüpftes Echthaarteil zu einem Preis von 1.585,00 €.
Die Beklagte genehmigte daraufhin die Kostenübernahme für eine Kunsthaarperücke bis zu einem Höchstbetrag von 404,60 Euro mit Bescheid vom 19.06.2018. Im Übrigen lehnte sie den Antrag ab. Ein Anspruch auf eine Echthaarperücke bestehe nur dann, wenn eine Versorgung mit einer Kunsthaarperücke aus medizinischer Sicht im Einzelfall nicht möglich sei. Etwaige Mehrkosten für die Versorgung mit Echthaarersatz müsse sie in eigener Verantwortung tragen.
Die Klägerin hat sich die Perücke daraufhin auf eigene Kosten selbst beschafft. Die Beklagte hat den bewilligten Teilbetrag in Höhe von 404,60 € direkt gegenüber dem Leistungserbringer abgerechnet. Aus der Rechnung der Firma E. GmbH vom 25.06.2018 ergibt sich nach Abzug des Krankenkassenzuschusses in Höhe von 404,60 € noch ein offener Rechnungsbetrag in Höhe von 1.180,40 €. Dieser wurde bisher von der Klägerin noch nicht gezahlt.
Gegen den Bescheid vom 19.06.2018 legte die Klägerin am 28.06.2018 Widerspruch ein. Frauen mit vollständigem Haarverlust stünde nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich eine Versorgung mit Echthaarersatz als unmittelbarer Behinderungsausgleich zu. Ihr stehe die vollständige Erstattung der Kosten für den handgefertigten Haarersatz zu.
Die Beklagte bat daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) um eine Stellungnahme zur Frage der Erfüllung der medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung. Der MDK (Dr. N.) gelangte in seiner Stellungnahme vom 09.07.2018 zu der Frage „Perücke in Maßkonfektion Echthaar“ zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung erfüllt seien. In der sozialmedizinischen Beurteilung heißt es, dass aufgrund des Haarverlustes die medizinische Indikation zur Versorgung mit einer Perücke bestehe, jedoch keine Indikation für eine bestimmte Art von Perücke. Sowohl Teil- als auch Echthaarperücken würden seit Bekanntmachung des GKV Spitzenverbandes vom 15.01.2018 zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen gehören. Dies werde durch die BSG-Rechtsprechung „Deshalb haben unter Kahlköpfigkeit leidende Frauen regelmäßig einen Anspruch gegen ihre Krankenkasse auf Versorgung mit einer Echthaarperücke“ noch untermauert.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2018 als unbegründet zurück. Um eine wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten, habe die Beklagte vertragliche Vereinbarungen geschlossen, die die Versorgung mit einer optisch einwandfreien Kunsthaarperücke mit ausreichendem Tragekomfort in Höhe des Betrages von 404,60 € sicherstelle. Bei einer darüberhinausgehenden aufwendigeren Versorgung würden diese Kosten in den eigenverantwortlichen Bereich fallen. Der MDK komme in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die sozialmedizinische Notwendigkeit ...