Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlicheitsprüfung. Zielfeldregress. Verordnungsjahr 2006. Ermächtigungsgrundlage

 

Leitsatz (redaktionell)

Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit eines Regresses für eine Zielwertüberschreitung ist die Rechtslage in dem Zeitraum, der Gegenstand der Prüfung war.

Die Festsetzung eines Zielfeldregress darf nach dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Demokratiegebot nur aufgrund einer formell-gesetzlichen Ermächtiungsgrundlage erfolgen. Eine sich allein aus untergesetzlichen Vorschriften ergebende Befugnis zum Regress reicht nicht aus.

Eine gesetzliche Grundlage für Zielfeldregresse ergab sich nicht aus § 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 SGB V oder § 84 Abs. 7 Satz 1 bis 3 SGB V. Eine ausreichende Ermächtigung wurde erst mit dem zum 1. Mai 2006 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorung (AVWG) durch § 84 Abs. 4a, 7a SGB V für das Kalenderjahr 2007 geschaffen.

 

Orientierungssatz

Parallelentscheidung zum Urteil des LSG Hamburg vom 25.11.2015 - L 5 KA 45/14, das vollständig dokumentiert ist.

 

Normenkette

SGB V §§ 12, 2 Abs. 1 S. 1, § 106 Abs. 2 Nr. 2 S. 4, § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Abs. 3, 4a, 7a; BGB § 134; GG Art. 20 Abs. 1, 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 2 S. 1, Art. 12 Abs. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.09.2016; Aktenzeichen B 6 KA 44/15 R)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten jeweils selbst tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Regress aufgrund einer Zielfeldprüfung für das Verordnungsjahr 2006.

Die Klägerin war im Streitjahr als Berufsausübungsgemeinschaft von Fachärzten für Innere Medizin, Kardiologie und Angiologie in der vertragsärztlichen Versorgung in H... tätig. Mit Schreiben vom 27. April 2010 informierte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in H... die Klägerin, dass sie nach Überschreitung der Ausgabenvolumina für Arznei- und Heilmittel im Verordnungsjahr 2006 die daraus resultierenden Regressansprüche der Krankenkassen gemäß § 19 der Hamburger Prüfvereinbarung festzustellen habe. Die Klägerin habe die für das Verordnungsjahr 2006 vertraglich vereinbarten Zielvorgaben nicht erreicht. Bei der Zielgruppe cardioselektive Betablocker sei der Zielwert um 28,25 % (brutto 4.189,61 Euro) und bei der Zielgruppe Tilidinkombinationen um 15,1 % (brutto 256,77 Euro) überschritten. Die Klägerin erhalte Gelegenheit, innerhalb von vier Wochen eine Stellungnahme abzugeben und insbesondere mitzuteilen, ob Besonderheiten für einzelne Patienten oder Patientengruppen geltend gemacht würden, die bei entsprechender Indikation eine Verordnung höherpreisiger Arzneimittel rechtfertigen könnten. Dem Schreiben war eine Tabelle beigefügt, in der die in den betroffenen Zielgruppen verordneten Arzneimittel mit Pharmazentralnummer (PZN), dem Code nach dem Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen Klassifikationssystem (ATC-Code), Wirkstoff, Hersteller, Name, Darreichungsform, Packungsinhalt, Anzahl der verordneten Packungen, Ausgaben, verordneten definierten Tagesdosen (DDD), Kosten je DDD und dem Zielwert Kosten je DDD aufgeführt waren.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2010 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von netto 3.493,30 Euro für die Zielwertüberschreitung bei der Verordnung der Arzneimittelgruppen cardioselektive Betablocker (netto 3.371,80 Euro) und Tilidinkombinationen (netto 121,50 Euro) fest. Zur Begründung war ausgeführt, die Zielwerte seien von den Landesverbänden der Krankenkassen und der KV H... anhand definierter Tagesdosen festgelegt worden. Die Vereinbarungen seien ein Bestandteil der Arzneimittelprüfungen 2006. Da das vereinbarte Ausgabenvolumen für die insgesamt von den Hamburger Vertragsärzten veranlassten Leistungen für das Verordnungsjahr 2006 überschritten worden seien, seien die Zielfeldprüfungen durchzuführen gewesen. Die gesetzten Ziele seien so gewählt, dass Spielraum für individuelle Therapieentscheidungen bestehe. Voraussetzung für den Austausch von Präparaten sei die im Einzelfall zu prüfende medizinische Unbedenklichkeit. Lägen keine zwingenden medizinischen Gründe für eine Überschreitung der Zielvorgaben vor, seien die damit verbundenen höheren Verordnungskosten vom Vertragsarzt zu verantworten. Es habe allerdings keine patientenbezogene Überprüfung der Verordnungen vorgenommen werden können, da die Übermittlung dieser Daten vertraglich nicht geregelt sei. Die Klägerin habe zur Überschreitung keine Stellungnahme abgegeben. Gründe, die zur Zielwertüberschreitung geführt haben könnten, habe die Klägerin nicht genannt. Durch eine Neuberechnung für die seit 1. Juli 2006 gültigen Zielfelder habe sich die Höhe der Zielwertverfehlungen zugunsten der Klägerin verändert.

Die Klägerin erhob mit am 29. Oktober 2010 eingegangenem Schreiben Widerspruch gegen den Bescheid vom 25...

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