Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Erwerbsminderung liegt nicht vor, wenn der Betroffene unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Liegt das zeitliche Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich, muss dies im Rahmen des Anspruchs nach § 43 SGB VI im Vollbeweis nachgewiesen werden.
2. Ein anderer Beweismaßstab aufgrund des AGG ist nicht anzulegen. Nach § 33c SGB I sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch vom Anwendungsbereich des AGG ausgenommen.
3. Ein Verstoß gegen Unionsrecht ist auch nicht gegeben. Unionsrechtliche Richtlinien, in deren Lichte die nationalen Gesetze auszulegen sind, finden bei der Beurteilung der Minderung des Erwerbs aufgrund eines Arbeitsunfalls keine Anwendung.
4. Das Erfordernis der sog. „3/5-Belegung”, also die Belegung von 36 Monaten mit Pflichtbeiträgen in einem Zeitraum von 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Leistungsfalls nach § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI, verstößt nicht gegen das in § 33c SGB I normierte Benachteiligungsverbot.
5. Die Regelung verstößt auch nicht gegen das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK). Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG oder die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG liegt auch nicht vor. Dies auch soweit es im Lichte der UN-BRK zu betrachten ist. Unionsrecht ist ebenso nicht verletzt.
6. Durch den Bezug von Leistungen nach dem SGB II können seit 2011 keine Pflichtversicherungszeiten mehr in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben werden.
7. § 43 Abs. 4 SGB VI ist nicht – auch nicht im Lichte der UN-BRK und des Grundgesetzes betrachtet – analog auf weitere als die dort normierten Tatbestände, insbesondere Zeiträume des Vorliegens einer Behinderung, auszudehnen.
Normenkette
SGB VI § 43; SGB I § 33c; GG Art. 3, 14; AGG §§ 22, 1, 2 Abs. 1 Nr. 5
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. April 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die (Weiter-)Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am … 1969 in M. geborene Klägerin lebt seit 1976 in Deutschland. Von 1999 bis 31. Mai 2014 war sie mit einer Gebäudereinigungsfirma selbstständig tätig.
Auf Antrag vom 1. Oktober 2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum 20. November 2008 bis 31. August 2014 aufgrund einer chronisch lympathischen Leukämie Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Diese kam wegen Einkünften der Klägerin aus ihrem Gewerbebetrieb jedoch teilweise nicht zur Auszahlung.
Am 30. Oktober 2013 stellte die Klägerin einen Antrag auf Umwandlung der Rente in eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie trug vor, an chronischer Leukämie zu leiden. Nach einer Chemotherapie im Jahr 2009 habe es ernsthafte Nebenwirkungen gegeben, die nachwirken würden (u.a. extreme Magenbeschwerden, Gelenkschmerzen, Allergien). Zudem habe sie einen HWS-Bandscheibenvorfall gehabt. Sie leide an Weichteilrheuma. Die größten Probleme machten ihr Schwächeanfälle und ihr schwaches Immunsystem. Arbeiten könne sie keine mehr verrichten.
Nach Einholung von Befund- und Behandlungsberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ließ die Beklagte die Klägerin durch den Facharzt für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. J. ambulant untersuchen. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 17. März 2014 bei der Klägerin medikamentös kontrolliertes Asthma bronchiale (ICD-10: J45.9), mitgeteilte psychovegetative Erschöpfungszustände (ICD-10: F48.0) sowie seit 2009 anhaltende komplette Remission (nicht Heilung, aber Fehlen von Krankheitserscheinungen) einer medikamentös behandelten chronisch lymphatischen Leukämie (ICD-10: C91.1). Damit könne die Klägerin spätestens seit Ablauf der ihr gewährten Zeitrente leichte bis mittelschwere Arbeiten in Tages- sowie Früh- und Spätschicht ohne wesentliche inhalative Belastungen im zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Leistungen zur Teilhabe wurden nicht vorgeschlagen.
Mit Bescheid vom 18. Juni 2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab. Sie sei nach medizinischer Beurteilung noch in der Lage, sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.
Gegen den Bescheid vom 18. Juni 2014 erhob die Klägerin am 1. Juli 2014 Widerspruch. In dem angefochtenen Bescheid sei die Kombination der verschiedenen Erkrankungen in ihren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit nicht ausreichend gewürdigt worden. Eine körperliche Untersuchung durch den Gutachter habe so gut wie nicht stattgefunden.
Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 18. Juni 2014 lehnte die Beklagte auch die ...