Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Schülerunfall. Schulpause. organisatorischer Verantwortungsbereich der Schule. wirksame schulische Aufsichtsmaßnahme. erweiterter Pausenhof. sachlicher Zusammenhang. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. betriebliche Tätigkeit. Erholung und Rauchen im Stadtpark. volljähriger Schüler
Orientierungssatz
1. Ein volljähriger Schüler, der während einer Schulpause im angrenzenden Stadtpark als so genanntem "erweiterten (von der Schule gebilligten) Pausenhof" verunglückt, steht nicht gem § 8 Abs 1 S 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, da die Möglichkeit wirksamer schulischer Aufsichtsmaßnahmen bzw der Einflussbereich der Schule am Schultor enden.
2. Schüler, die während ihrer Schulpause das Schulgelände verlassen, unterliegen hinsichtlich ihres Unfallversicherungsschutzes im Wesentlichen denselben Grundsätzen wie Arbeitnehmer, welche in der Pause die Betriebsstätte verlassen.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts vom 29. November 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Ereignisses vom 18. Januar 2018 als Arbeitsunfall in der Schüler-Unfallversicherung streitig.
Der am ... 1999 geborene Kläger war Schüler des im G. belegenen H.-Gymnasiums in H1-W. und als Schüler bei der Beklagten versichert. Am 18. Januar 2018 hielt sich der Kläger in der zweiten großen Pause gemeinsam mit zwei Mitschülern gegen 11:45 Uhr im Stadtpark auf. Der Stadtpark befindet sich in unmittelbarer Nähe der Schule, er ist durch den G. vom Schulgelände getrennt. In diesem Zeitraum herrschte generell ein Unwetter in Form von Sturm und Schneefall (Sturmtief „Friederike“), wobei das genaue Wetter zum Unfallzeitpunkt am Unfallort zwischen den Beteiligten streitig ist. Im Stadtpark rauchte der Kläger mit einem der Mitschüler und hielt sich dort zur Erholung auf. Während dieses Aufenthalts fiel dem Kläger ein sehr großer und schwerer Ast auf den Kopf und den Körper. Durch den Ast erlitt der Kläger, der sofort bewusstlos war, ein Polytrauma mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma sowie Frakturen des Wadenbeins und des Volkmanndreiecks. Der Kläger wurde nach Eintreffen des Notarztes am Unfallort intubiert und sodann auf der Intensivstation im Universitätsklinikum E., H1 stationär behandelt. Im Durchgangsarztbericht vom 22. Januar 2018 heißt es zur Frage, ob Verdacht auf Alkohol-, Drogen-, Medikamenteneinfluss bestehe, „Ja“, die Blutuntersuchung der am 18. Januar 2018 um 13:44 Uhr gezogenen Probe ergab einen Wert von 59 ng/ml Cannabinoiden im Serum (Referenzwert * ≪ 20 ng/ml).
Nach der Extubation am 31. Januar 2018 war der Kläger wach und ansprechbar, konnte aber zunächst nur mit einfachen Sätzen kommunizieren. Angaben zum Unfallgeschehen konnte der Kläger nicht machen.
Im Polizeibericht vom 19. Januar 2018 heißt es: „Am Einsatzort teilten mir die Zeugen/ Schüler R. und S. mit, dass sie sich mit dem Geschädigten zum Rauchen im Stadtpark befunden hätten.“ Im Auskunftsbogen der Beklagten beantwortete der Mitschüler N. R. am 2. Februar 2018 die Frage, warum das Schulgelände verlassen worden sei mit: „Um in Ruhe eine zu rauchen“. Es sei von der Schule erlaubt worden, das Gelände während der Pausen zu verlassen. Der Mitschüler J. S. gab am 14. Februar 2018 telefonisch gegenüber der Beklagten an, der Kläger habe am Unfalltag den Schulhof zum Rauchen verlassen. Man gehe regelmäßig zum Rauchen in den Stadtpark, so auch an diesem Tag. Der Vater des Klägers gab auf dem Fragebogen am 28. Januar 2018 an, der Kläger habe das Schulgelände verlassen, „um die Pause in ruhigerer Umgebung des Stadtparks zu verbringen“. Schülern ab der 10. Klasse sei es mit Erlaubnis der Eltern ebenso wie volljährigen Schülern erlaubt, das Schulgelände zu verlassen.
Infolge des Unfallereignisses konnte der Kläger an den anstehenden Abitur-Prüfungen nicht teilnehmen. Die Teilnahme des Klägers an einer zeitlich versetzten Wiederholung der Abitur-Prüfungen nach seiner Genesung blieb erfolglos.
Mit Bescheid vom 20. April 2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Behandlung zu Lasten der Beklagten abgebrochen werde. Ein Schulunfall liege nicht vor. Eine versicherte Tätigkeit habe nicht vorgelegen, weil der Kläger den Schulhof zum Rauchen verlassen habe und der Verzehr von Genussmitteln sowie die damit zusammenhängenden Wege dem privaten, nicht versicherten Bereich angehörten. Das Aufsuchen des Stadtparks sei aus eigenwirtschaftlichen Zwecken erfolgt, sodass der Kläger nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe.
Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2018 ist im Wesentlichen ausgeführt, die objektive Handlungstendenz des Klägers sei maßgeblich auf das eigenwirtschaftliche Interesse ...