Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Vergütungsanspruch für eine vorstationäre Diagnosebehandlung. gute Möglichkeit der Erforderlichkeit einer vollstationären Behandlung. kein Vergütungsanspruch bei von vornherein aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausscheidenden Maßnahmen. Vertragsärztliche Verordnung. Diagnose. Prüfung durch den MDK
Orientierungssatz
1. Eine vorstationäre Behandlung kann grundsätzlich nur dann abgerechnet werden, wenn sich aus der vertragsärztlichen Verordnung, insbesondere aus der dort angegebenen Diagnose, schlüssig ergibt, dass eine gute Möglichkeit für die Erforderlichkeit einer vollstationären Behandlung besteht.
2. Ob dies der Fall ist, ist grundsätzlich eine medizinische Frage, sodass die Krankenkasse bei Zweifeln hieran gehalten ist, innerhalb der Sechs-Wochen-Frist des § 275 Abs 1c S 2 SGB 5 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung einzuschalten. Tut sie dies nicht, können medizinische Ermittlungen nicht mehr durchgeführt werden und etwaige Zweifel gehen zu ihren Lasten (vgl BSG vom 16.5.2012 - B 3 KR 14/11 R = BSGE 111, 58 = SozR 4-2500 § 109 Nr 24, LSG Hamburg vom 1.11.2012 - L 1 KR 106/11 und vom 11.4.2013 - L 1 KR 16/12).
3. Etwas anderes gilt jedoch ausnahmsweise dann, wenn sich aus der vorliegenden Verordnung und insbesondere aus der darin angegebenen Diagnose ergibt, dass allenfalls Maßnahmen in Betracht kommen, die von vornherein aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausscheiden (hier: chirurgische Maßnahmen zur Beseitigung der Folgen einer früheren Adipositas nach erfolgreicher Gewichtsreduktion).
Normenkette
SGB V § 115a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Sätze 3-4, § 27 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 1, § 73 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 4 S. 2, § 275 Abs. 1c S. 2
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine - nach Auffassung der Klägerin - vorstationär erfolgte Krankenhausbehandlung.
Die 1979 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte A.K. stellte sich am 18. Oktober 2010 in der chirurgischen Sprechstunde einer von der Klägerin betriebenen Klinik vor und legte dort eine ärztliche Verordnung von Krankenhausbehandlung vom selben Tag vor, in der als Diagnose "Zustand nach Adipositas permagna" angegeben war. In dem Patientenfragebogen der Klinik gab die Versicherte an, keine Beschwerden zu haben und unter keinen weiteren Erkrankungen zu leiden. Der behandelnde Krankenhausarzt dokumentierte auf dem Formblatt "Ärztliche Anamnese und Befund Plastische Chirurgie" eine Größe der Versicherten von 175 cm sowie ein Gewicht von 85 kg. Zur Anamnese wurde ausgeführt, die Patientin habe vor ihren Schwangerschaften einen straffen Bauch gehabt, seitdem habe sie Bauchspeck und sei darüber sehr unglücklich. Sie habe bereits 15 kg abgenommen und fühle sich schon besser. Als Diagnose wurde "Bauchfettschürze/lokalisierte Adipositas des Bauches" angegeben und als Therapieempfehlung eine weitere Gewichtsreduktion auf ca. 75 kg notiert.
Die Klägerin forderte hierfür bei der Beklagten mit Rechnung vom 21. Dezember 2010 per Datenträgeraustausch eine vorstationäre Pauschale (Allgemeine Chirurgie) in Höhe von EUR 100,72 an. Die Beklagte lehnte die Begleichung der Rechnung mit der Begründung ab, dass Vorbereitungen und Abklärungen zu kosmetischen Operationen nicht in die Leistungspflicht der Krankenkasse fielen.
Die Klägerin hat am 21. März 2011 Klage erhoben und vorgetragen, die Abrechnung der vorstationären Pauschale sei zutreffend, da aufgrund der angegebenen Diagnose zunächst habe geklärt werden müssen, ob eine behandlungsbedürftige Krankheit vorgelegen habe. Der vertragsärztlichen Verordnung sei jedenfalls nicht eindeutig zu entnehmen, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Im Übrigen ergebe sich die Vergütungspflicht bereits aus § 4 Abs. 5 Buchstabe b des Vertrages Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die von der Klägerin erbrachte Leistung erfülle weder die Voraussetzungen des § 115a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) noch die des Hamburger Vertrages über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. August 2011 abgewiesen, da eine vorstationäre Behandlung nicht erfolgt sei. Die hierfür erforderliche Abklärung einer möglichen vollstationären Krankenhausbehandlung habe nämlich gleichsam auf den ersten Blick vorgenommen werden können. Der Body Mass Index der Versicherten habe bei 27,8 gelegen. Da adipositaschirurgische Maßnahmen zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung selbst bei erheblich höhergradiger Adipositas allenfalls als ultima ratio in Betracht kämen, sei eine vollstationäre Krankenhausbehandlung hier von vornherein ausgeschieden, ohne dass es einer ausführlichen Anamnese bedurft hätte. Von möglichen Folgeerkrankungen de...