Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme von Verwaltungsakten. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Erlass eines endgültigen anstelle eines vorläufigen Bescheides trotz schwankenden Einkommens

 

Orientierungssatz

1. Wird bei einkommensabhängigen Leistungen trotz schwankenden Einkommens ein endgültiger statt eines vorläufigen Bescheids erlassen, kommt als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids wegen zusätzlich erzielten Einkommens nur § 45 SGB 10 in Betracht (vgl BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R = BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12).

2. Die Kenntnis bzw grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit gemäß § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10 muss sich auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch den Grundsicherungsträger beziehen. Dabei genügt es, dass der Begünstigte weiß bzw wissen muss, dass ihm die zuerkannte Leistung so nicht zusteht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.06.2020; Aktenzeichen B 4 AS 10/20 R)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat ein Zehntel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die teilweise Aufhebung und Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die ihnen der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Mai 2014 gewährt hatte.

Die 1978 bzw. 2002 geborenen Kläger sind Mutter und Sohn. Die im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige Klägerin war seit dem 7. Februar 2011 als Abrufarbeitnehmerin bei der Firma M. GmbH & Co KG mit einer Arbeitszeit von mindestens drei Stunden pro Woche beschäftigt. Aus dieser Tätigkeit erhielt sie ein monatlich schwankendes Einkommen, wobei das Gehalt jeweils im Folgemonat ausgezahlt wurde. Für die Monate August bis Oktober 2013 wurde den Klägern Wohngeld in Höhe von monatlich 123,- Euro gezahlt. Vom 16. Oktober 2013 bis zum 15. Dezember 2013 erhielt die Klägerin Krankengeld in Höhe von täglich 26,70 Euro netto.

Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten beantragte die Klägerin für sich und den Kläger zum 1. September 2013 aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Beklagten. Dieser bewilligte mit Bescheid vom 20. September 2013 für die Monate September bis November 2013 Leistungen unter Anrechnung von Erwerbseinkommen in Höhe von 1500,- brutto bzw. 1150,- netto, Kindergeld in Höhe von 184,- Euro sowie Wohngeld in Höhe von 123,- Euro. Nachdem die Klägerin am 30. September 2013 ihre Verdienstabrechnung für August 2013 eingereicht hatte, erließ der Beklagte am 4. Oktober 2013 einen Änderungsbescheid und bewilligte für September 2013 höhere Leistungen (292,18 Euro). In der Begründung heißt es „Korrektur der Einkommensanrechnung im September gem. der Verdienstabrechnung 08.13. … Einkommensanrechnung im Folgemonat“. Anfang Oktober reichte die Klägerin beim Beklagten einen Nachweis über die Einstellung des Wohngelds ein. Daraufhin erließ der Beklagte am 5. November 2013 einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem für den Monat November 2013 höhere Leistungen - nämlich ohne Anrechnung eines Einkommens aus Wohngeld - bewilligt wurden. Ende November reichte die Klägerin beim Beklagten ein Schreiben ihrer Krankenkasse vom 18. November 2013 ein, in dem diese mitteilt, dass sie ab dem 16. Oktober 2013 Krankengeld zahle. Mit Schreiben vom 17. November 2013 hörte der Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigen Aufhebung und Erstattungsforderung an und führte aus, die Klägerin habe mit dem Krankengeld und ihrem Erwerbseinkommen im Oktober und November höhere Einkünfte gehabt als angenommen und sei deshalb in geringerem Umfang hilfebedürftig gewesen. Am 12. Dezember 2013 erließ der Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem die Leistungsbewilligung für Oktober und November 2013 für beide Kläger teilweise aufgehoben und Leistungen zurückgefordert wurden; am 13. Dezember 2013 erging ein Änderungsbescheid für den Monat Oktober 2013.

Mit Bescheid vom 27. November 2013 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Monat Dezember 2013 in Höhe von 404,84 Euro und für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Mai 2014 in Höhe von monatlich 420,92 Euro (davon 272,62 Euro an die Klägerin und 148,30 Euro an den Kläger). Dabei wurde ein Einkommen aus Krankengeld in Höhe von monatlich 801,- Euro angerechnet. Mit Änderungsbescheid vom 3. Februar 2014 bewilligte der Beklagte den Klägern für Dezember 2013 Leistungen in Höhe von 433,63 Euro und für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Mai 2014 in Höhe von monatlich 666,72 Euro (davon 431,44 Euro an die Klägerin und 235,28 Euro an den Kläger). Zur Begründung gab der Beklagte an, die Anrechnung des Krankengeldes sei bis zum 15. Dezember 2013 begrenzt worden. Ab Januar 2014 wurde nunmehr wieder ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit der...

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