Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Cannabis. Einordnung als schwerwiegende Erkrankung erfordert eine schwere Verlaufsform. unzureichende Cannabis-Verordnung. fehlende begründete Einschätzung des Vertragsarztes. Ermittlungspflicht des Gerichts
Orientierungssatz
1. Für die Einordnung als schwerwiegende Erkrankung nach § 31 Abs 6 S 1 SGB 5 ist zu fordern, dass es sich um eine schwere Verlaufsform handelt, denn nur in diesen Fällen kann von einer die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden Erkrankung die Rede sein.
2. Zur Ermittlungspflicht des Gerichts bei unzureichender Cannabis-Verordnung wegen fehlender begründeter Einschätzung des Vertragsarztes.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, die Kosten für die Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten zu übernehmen.
Die 1968 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Der Hausarzt der Klägerin, der Facharzt für Allgemeinmedizin P.Z., beantragte im Januar 2019 für die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Cannabistherapie. Im Arztfragebogen zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) gab der Arzt u.a. zu den Fragen, welche Erkrankung behandelt werden solle, an, „chron. Schmerzsyndrom Fibromyalgie bei u. Lupus erythematodes“, zum Behandlungsziel gab der Arzt an „“Schmerzlinderung“. Die Frage, welche anderen Erkrankungen gleichzeitig bestünden, beantwortete er mit „Epilepsie“, und auf die Frage, welche Therapie mit welchem Erfolg bisher durchgeführt worden sei, antwortete der Arzt „medik. Ther + Physiother nicht ausreichend erfolgreich“. Auf die Frage, warum allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende alternative Behandlungsoptionen nicht zur Verfügung stünden, antwortete er „Pat ist austherapiert“, und auf die Bitte, Literatur zu benennen, aus der hervorgehe, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehe, gab er „Cannabis als Medizin“ an. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) MDK N. und informierte die Klägerin über die Einholung derselben.
Der MDK N. kam in seinem sozialmedizinischen Kurzgutachten vom 13. Februar 2019 zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung bei der Klägerin nicht erfüllt seien. Die Klägerin leide nach Aktenlage an folgenden Erkrankungen: chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41), Fibromyalgie (M79.7), subakuter Lupus erythematodes cutaneus (L93,1), lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit einfachen fokalen Anfällen (G40.1). Beantragt werde die Kostenübernahme für Cannabisblüten zur Inhalation. Die Tagesdosis sei mit 1g angegeben. Ziel der Behandlung sei die Schmerzlinderung. Im Vordergrund der Beschwerden stehe laut MVZ Rheumatologie die Fibromyalgie. Eine rheumatologische Behandlung erfolge mit Quensyl, Vicotrat und Voltaren bei Bedarf. Das Vorliegen eines chronischen Schmerzsyndroms werde erstmals im ärztlichen Attest des MVZ Rheumatologie vom 18. Januar 2019 angegeben. In den vorhergehenden ausführlichen Berichten bis 2014 sei eine Schmerzerkrankung nicht aufgeführt. Konkrete Angaben zu den Schmerzen (Art, Lokalisation, Stärke etc.) würden nicht mitgeteilt. Es werde ohne nähere Angaben ausgeführt, dass eine Opiattherapie kontraindiziert sei. Alle anderen Schmerzmittel hätten versagt, konkrete Präparate würden aber nicht benannt. Seit Januar 2016 seien dem Medikationskonto keine Schmerzmittelverordnungen zu entnehmen. Eine ambulante oder stationäre multimodale Schmerztherapie sei den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. In der S3-Leitlinie Fibromyalgie der Deutschen Schmerzgesellschaft von 3/2017 werde erneut eine negative Empfehlung für den Einsatz von Cannabinoiden bei Fibromyalgie gegeben. Insoweit werde auf die Leitlinie zur Behandlung der Fibromyalgie verwiesen. Eine Behandlung der Schmerzen im Rahmen der vertragsärztlichen Leistungen stehe zur Verfügung. Aktuell erfolge keine Schmerztherapie nach WHO Stufenschema und keine multimodale Schmerztherapie. Vorrangig sei hier eine schmerztherapeutische Vorstellung zur Abklärung der Schmerzen und zur Einleitung einer multimodalen, interdisziplinären, komplexen Schmerztherapie. Bezüglich der Epilepsie bestehe ein stabiler Verlauf unter laufender Therapie. Die Kostenübernahme für die beantragten Cannabisblüten werde auf dieser Grundlage nicht empfohlen.
Mit Bescheid vom 13. Februar 2019 lehnte die Beklagte die Kosten für die Therapie mit Cannabis ab. Nach § 31 Abs. 6 SGB V stehe Versicherten mit einer schwerw...