Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen Bl. Landesblindengeld in Mecklenburg-Vorpommern. Blindheit. erforderlicher Nachweis eines morphologischen Korrelats für eine Störung des Sehapparats. Wahrscheinlichkeit des vollständigen Ausfalls der Sehrinde nicht ausreichend. notwendiger Ausschluss der Möglichkeit einer gnostischen Störung

 

Orientierungssatz

1. Das Vorliegen von "Blindheit" als Voraussetzung für das Merkzeichen Bl nach Teil A Nr 6 Buchst a bis c VMG (Versorgungsmedizinische Grundsätze in der Anlage zu § 2 VersMedV) sowie für den Anspruch auf Landesblindengeld nach § 1 BliGG MV 2009 erfordert den Nachweis eines morphologischen Korrelats für eine Störung des Sehapparats.

2. "Blindheit" im Sinne von Teil A Nr 6 Buchst a bis c VMG ist beschränkt auf Störungen des Sehapparats. Gnostische - neuropsychologische - Störungen des visuellen Erkennens führen dagegen nicht zur Blindheit (vgl BSG vom 24.10.2019 - B 9 SB 1/18 R = BSGE 129, 211 = SozR 4-3250 § 152 Nr 2).

3. Ein vollständiger Ausfall der Sehrinde nach Teil A Nr 6 Buchst c VMG darf nicht nur wahrscheinlich sein, vielmehr muss ein solcher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im naturwissenschaftlichen Sinne nachgewiesen werden. Insbesondere darf (hier: aufgrund fehlender Messbarkeit) auch nicht die Möglichkeit offenbleiben, dass die Ursache für die Einschränkung des Sehvermögens allein auf einer gnostischen Störung beruht.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Rostock vom 10. Oktober 2016 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin ausschließlich die Kosten des Widerspruchsverfahrens und des ersten Rechtszuges jeweils zur Hälfte zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch um die Zuerkennung des Merkzeichens Bl (Blindheit).

Bei der am 12. Juni 2012 geborenen Klägerin stellte der Beklagte auf den Erstfeststellungsantrag vom 25. September 2012 mit Bescheid vom 11. Oktober 2012 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, B und H fest und erkannte die Behinderung „Hirnschädigung, Anfallsleiden und psychomotorische Entwicklungsverzögerung“ an. Der Beklagte stützte sich insoweit auf ärztliche Berichte der Kinder- und Jugendklinik der Universitätsmedizin B-Stadt vom 13. und 19. September 2012 mit den Diagnosen Aicardi-Syndrom mit Balken-Agenesie, symptomatische Epilepsie, Hydrocephalus internus, Mikrozephalie, Opticushypoplasie und chorioretinale Lacunae rechts. Die Universitätsmedizin B-Stadt hat darin u.a. ausgeführt, eine craniale MRT-Untersuchung habe eine Balkenagenesie, Hydrocephalus internus ohne Anhalt für erhöhten Hirndruck sowie eine auffällige Asymmetrie des Crus cerebelli zugunsten links ergeben.

Für die Klägerin machten ihre Eltern mit Neufeststellungsantrag vom 10. Juni 2013 auch die Zuerkennung der Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung), RF und Bl oder HS für die Zeit ab Dezember 2012 geltend und legten einen Arztbrief der Augen- und Poliklinik der Universitätsmedizin B-Stadt vom 3. Dezember 2012 vor. Darin werden die ophtalmologischen Diagnosen peripapillare Atrophien/Lacunae bei Aicardi-Syndrom des rechten Auges sowie Verdacht auf Opticushypoplasie beider Augen mitgeteilt. Es bestehe weiterhin keine Fixationsaufnahme oder Folgebewegungen. Zum Teil seien unkoordinierte Augenbewegungen zu beobachten. Die Pupillenreaktion sei beidseits auslösbar gewesen, habe jedoch beidseits verlangsamt gewirkt. Ein Blitz-VEP sei binokular auslösbar. Die vorderen Augenabschnitte hätten sich beidseits regelrecht dargestellt.

Nach dem von dem Beklagten beigezogenen Befundbericht des Facharztes für Augenheilkunde Dr. O. vom 14. Juni 2013 über die Untersuchung am 3. Juni 2013 liege bei der Klägerin seit Geburt bei beiden Augen eine Opticushypoplasie und Opticusathrophie ohne Fixation bzw. ohne Reaktion des Kindes auf Licht vor, wobei die Pupille rechts und links auf Licht reagiere.

Mit Bescheid vom 8. August 2013 stellte der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11. Oktober 2012 zusätzlich die Merkzeichen RF und HS für die Zeit ab 1. Dezember 2012 unter Anerkennung einer hochgradigen Sehbehinderung als weitere Behinderung fest und lehnte die Feststellung der Merkzeichen aG und Bl ab.

Mit dem hiergegen am 20. August 2013 für die Klägerin eingelegten Widerspruch führten ihre Eltern zur Begründung aus, dass die Klägerin nach Auskunft des Augenarztes Dr. O. blind sei. Dies sei auch von der Universitäts-Augenklinik B-Stadt bestätigt worden. Es sei keine Fixation möglich und daher auch kein Sehen. Dies könne auch nicht durch Gläser korrigiert werden. Ergänzend wurde Bezug genommen auf einen beigefügten Arztbrief der Augen- und Poliklinik der Universitätsmedizin B-Stadt vom 11. Juni 2013 mit unveränderten Befundangaben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die von ihren Eltern vertretene Klägerin am 5. November 2013 bei dem Sozialgericht Rostock Klage erhoben und die Zuerkennu...

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