Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung bei Bewilligung von Hinterbliebenenrente
Orientierungssatz
1. Die Einkommensanrechnungsregelungen des § 97 SGB 6 auf die nach § 46 SGB 6 zu gewährende Hinterbliebenenrente sind verfassungsgemäß (BVerfG Beschluss vom 18. 2. 1998, 1 BvR 1318/86). Die Hinterbliebenenversorgung ist dem Versicherten nicht als Rechtsposition privatnützig zugeordnet. Sie beruht nicht auf einer dem Versicherten zurechenbaren Eigenleistung. Sie begründet keine dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterliegende Rechtsposition.
2. Soweit die Absenkung des Zugangsfaktors für Hinterbliebenenrenten gemäß § 77 SGB 6 in Rentenanwartschaften eingreift, so ist dieser Eingriff gerechtfertigt. Er genügt sowohl dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als auch den Anforderungen des Vertrauensschutzprinzips. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt (BVerfG Beschluss vom 7. 2. 2011, 1 BvR 642/09).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der der Klägerin zu zahlenden Hinterbliebenenrente.
Auf Antrag der Klägerin bewilligte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 ab dem 4. November 2014 eine große Witwenrente aus der Versicherung des am 4. November 2014 verstorbenen Ehemanns R. A. in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von 584,27 €, nach Ablauf des Sterbevierteljahres; die Berechnung erfolgte unter Berücksichtigung eines um 0,084 geminderten Zugangsfaktors sowie der Anrechnung in Höhe von 73,77 € aus Erwerbsersatzeinkommen der Klägerin in Form einer Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Klägerin bezieht aus ihrer eigenen Versicherung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die für die Zeit ab 1. November 2014 1.012,79 € (monatlicher Zahlbetrag 908,99 € nach Einbehalt des Beitragsanteils zur Kranken- und Pflegeversicherung) betragen hat.
Mit Widerspruch vom 18. Januar 2015 machte die Klägerin unter anderem geltend, sie widerspreche der zweifachen Kürzung ihrer Witwenrente. Ihr Mann sei am 4. November 2004 im Alter von 60 Jahren und 8 Monaten aus dem aktiven Arbeitsleben heraus verstorben. Er sei zu 50 % schwerbehindert, aber nie arbeitslos gewesen. Bei der Berechnung der Witwenrente seien für die Zeit vom 1. Dezember 2014 bis 31. März 2017 28 Monate abgezogen worden. Diese Abschläge, die für den vorgezogenen Rentenbeginn erhoben würden, seien bei Einbeziehung in die Berechnung der Witwenrente nicht nachvollziehbar, nicht richtig. Die zweite Kürzung erfolge mit der Anrechnung ihres Einkommens, einer Erwerbsminderungsrente. Auch sie sei zu 50 % schwerbehindert, Merkzeichen G. Von der zuerst gekürzten Witwenrente (minus 28 Monate) sei eine nochmalige Kürzung um anzurechnendes Einkommen erfolgt. Auch seien bei der Berechnung der zu berücksichtigenden Rente nur 13 % pauschal abgezogen worden. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung fordere "Einkommens- und Vermögensgrenzen für Menschen mit Behinderung abschaffen". Einige Petitionen an den Deutschen Bundestag beinhalteten ebenfalls die Abschaffung der Rentenkürzungen durch Anrechnung und Abschläge. Die doppelte Kürzung ihrer Witwenrente stelle eine besondere Härte dar und es liege im Ermessen der Deutschen Rentenversicherung, diese Abzüge nicht bzw. geringer vorzunehmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und erläuterte hierin ausführlich die Berechnung des Zugangsfaktors und die Einkommensanrechnung. Die Kürzung des Zugangsfaktors und die durchgeführte Einkommensanrechnung seien entsprechend der gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Die Beklagte könne aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelungen kein Ermessen ausüben, weil es seitens des Gesetzgebers keinen Ermessensspielraum gebe.
Mit ihrer am 13. April 2015 beim Sozialgericht (SG) Schwerin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und zur Begründung unter anderem vorgebracht, die Klägerin rüge die aus ihrer Sicht "doppelte" Kürzung ihrer Witwenrente. Diese "doppelte" Kürzung empfinde sie als eine besondere Härte. Die Beklagte habe in ihrem Widerspruchsbescheid - zutreffend - dargelegt, dass die Anwendung der einfachgesetzlichen Normen für die jeweilige "Kürzung" nicht zu beanstanden sei. Sie übersehe indes die Kumulation der Rechtsfolgen, die sich aus der Anwendung der jeweiligen Normen ergäbe. Isoliert betrachtet dürften sowohl die Abschläge bei der Berechnung der Witwenrente als auch die vorgenommene Einkommensanrechnung unbedenklich sein. In ihrem Zusammenwirken führten sie indes zu einer massiven Kürzung der der Klägerin verbleibenden Witwenrente. Wegen der Auswirkungen der einfachgesetzlichen Vorschriften im Falle ihrer kumulativen Anwendung bestünden ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der einfachgesetzlichen Normen. Zumindest müssten die angewendet...