Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufkrankheit. Unterlassungszwang. Ursachenzusammenhang. bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Vorgabe, dass eine Krankheit nur eine Berufskrankheit ist, wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, ist weggefallen. Krankheiten in den Fällen des § 9 Abs. 1 SGB VII, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheit bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens zu dem Zeitpunkt als Berufskrankheit anzuerkennen, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist.

2. Mit dem Wegfall des Unterlassungszwangs ist der Tatbestand der BK 2108 ab dem 1. Januar 2021 um eine weitere Voraussetzung erweitert worden, wonach die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Lendenwirbelsäule geführt haben muss.

3. Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben. Für die Bestimmung der Ursachenzusammenhänge genügt dazu bereits die hinreichende Wahrscheinlichkeit.

4. Eine Schädigung der Lendenwirbelsäule ist nicht hinreichend wahrscheinlich berufsbedingt, wenn der Bandscheibenvorfall erst drei Jahre nach Ende der starken beruflichen Belastung auftritt.

 

Normenkette

SGB VII § 9 Abs. 1, §§ 2-3, 6; BKV Nr. 2108

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 17. September 2018 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach der Ziffer 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langwierige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - im Folgenden: BK 2108 neue Fassung (n. F.) - besteht.

Der 1958 geborene Kläger begann im September 1974 eine Lehre als Heizungsmonteur und war in der Folgezeit bei mehreren Firmen als Heizungsmonteur bzw. Heizungsbaumeister und zuletzt bis zum 31. Mai 2009 im Rohrleitungs- und Anlagenbau beschäftigt. Ab dem 1. Juni 2009 bezog der Kläger Krankengeld. Ab dem 29. Juli 2009 erhielt der Kläger Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Vom 4. Januar 2010 bis 29. Oktober 2010 unterzog der Kläger sich einer beruflichen Rehabilitation. Danach erhielt der Kläger erneut Sozialleistungen, in der Zeit vom 4. Dezember 2010 bis 31. Januar 2011 wegen Arbeitslosigkeit. Ab dem 1. Februar 2011 nahm der Kläger eine Tätigkeit als Mitarbeiter des Immobilienmanagements bei der Stadtwirtschaft A-Stadt auf und war dann ab dem 17. November 2011 bei dieser Firma als Geschäftsführer tätig. Ab dem 1. Juni 2016 arbeitete der Kläger als technischer Leiter der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft mbH A-Stadt.

Im Mai 2012 bat die Krankenkasse des Klägers die BG der Bauwirtschaft um Einleitung eines Feststellungsverfahrens wegen einer Berufskrankheit beim Kläger. Diese veranlasste die Auskunft des Klägers vom 25. September 2012. Hierin gab der Kläger u. a. an, ab ca. dem 22. Lebensjahr seien Wirbelsäulenbeschwerden aufgetreten, die stetig intensiver geworden seien. Diese führe er auf seine körperliche schwere Arbeit zurück.

Die BG Bau zog medizinische Unterlagen über den Kläger bei und holte einen Befundbericht des Facharztes für Neurochirurgie Dr. H. ein, der angab, den Kläger erstmalig am 20. August 2009 behandelt zu haben. Seinem Befundbericht fügte er den radiologischen Bericht des Dr. K. vom 3. September 2009 über die Kernspintomografie der Lendenwirbelsäule (LWS) des Klägers vom gleichen Tage bei, in welchem über einen Bandscheibenvorfall im Segment L 5/S1 und über eine Protrusion im Bereich des Segmentes L4/5 berichtet wurde.

Nachdem die BG Bau die Röntgenbefunde aller Abschnitte der Wirbelsäule des Klägers vom 18. Februar 2013 beigezogen hatte, veranlasste sie die beratungsärztliche Stellungnahme der Chirurgin Dr. H. vom 9. April 2013. Hierin hieß es, beim Kläger bestehe eine Lumboischialgie links, pseudoradikulär. 2009 sei durch eine Kernspintomografie der LWS ein Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 links lateral festgestellt worden, der die klinische Symptomatik erkläre. Des Weiteren bestehe eine bilaterale Bandscheibenvorwölbung im Segment L4/5. Die Röntgenaufnahmen vom 18. Februar 2013 zeigten eine leichte rechtskonvexe Skoliose der BWS, eine leichte linkskonvexe Skoliose der LWS, wobei beide Befunde nicht altersüberschreitend seien. An der Ha...

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