Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Altfall. verspätete Verzögerungsrüge. Präklusion des Entschädigungsanspruchs für die Zeit vor Rügeerhebung. Möglichkeit der Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer. sozialgerichtliches Verfahren
Orientierungssatz
1. Eine gemäß Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG verspätete Verzögerungsrüge führt dazu, dass die Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer nicht nur bis zum Inkrafttreten des Gesetzes, sondern bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt präkludiert sind (Übernahme von BGH vom 10.4.2014 - III ZR 335/13 = NJW 2014, 1967).
2. Für eine Wiedergutmachung auf andere Weise durch Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs 4 GVG ist die Erhebung einer unverzüglichen Verzögerungsrüge nach Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG nicht notwendig (entgegen BGH vom 10.4.2014 - III ZR 335/13 = NJW 2014, 1967).
Nachgehend
Tenor
Für das Berufungsverfahren L 2 EG 2/08 beim Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern wird eine überlange Verfahrensdauer von jedenfalls 21 Monaten festgestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte zu 1/5 und die Klägerin zu 4/5.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen der Dauer eines Berufungsverfahrens beim Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern aus dem Bereich des Erziehungsgeldrechts.
Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Umstritten war die Dauer der Gewährung von Elterngeld im Fall einer Adoptionspflege (ob 12 statt anerkannter 9 Monate). Nach einer zusprechenden erstinstanzlichen Entscheidung hatte das Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern gegen das ihm am 12. November 2008 zugestellte Urteil am 11. Dezember 2008 zunächst fristwahrend Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21. Januar 2009 begründet, woraufhin Anfang März 2009 eine Berufungserwiderung abgegeben wurde. Bis Anfang September 2009 erfolgte dann noch Schriftverkehr im Hinblick auf einen Ende 2008 gestellten Antrag auf vorläufige Vollstreckung. Am 05. Februar 2010 wurde der Rechtsstreit für sitzungsreif erachtet.
Am 15. März 2013 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Verzögerung des Verfahrens gerügt. Am 08. Oktober 2013 wurde nach am 28. August 2013 erfolgter Ladung der Rechtsstreit terminiert und endete auf Vorschlag des 2. Senates durch Abschluss eines Vergleiches (Leistung von noch zustehenden Elterngeldansprüchen in Höhe von 1.193,15 €).
Mit am 17. März 2014 vor dem LSG Mecklenburg-Vorpommern erhobener Klage wird eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer begehrt mit der Begründung, dass das Verfahren seit der Rücknahme des parallel zur Hauptsache laufenden Eilantrages vom 01. September 2009 nicht betrieben worden sei. Auch wenn die rechtliche Beurteilung durchaus nicht einfach zu beurteilen gewesen sei, hätte es jedoch keiner zeitaufwendigen Sachverhaltsaufklärung bedurft. Mithin hätte es in Anlehnung an die Rechtsprechung des LSG Mecklenburg-Vorpommern im Urteil vom 13. Februar 2013 - L 12 SF 3/12 EK AL - spätestens zwei Jahre nach ordnungsgemäßer Anzeige der Vertretung der Kläger im April 2011 unter weiterer Berücksichtigung einer sechsmonatigen Terminierungsfrist im November 2011 einer mündlichen Verhandlung bedurft, so dass im Verhalten des Gerichts wenigstens im Zeitraum von Dezember 2011 bis einschließlich August 2013 eine unangemessene Verzögerung von 21 Monaten zu sehen sei, welche die Klägerin auch psychisch belastet habe.
Die Klägerin beantragt,
|
1. |
|
festzustellen, dass das Verfahren L 2 EG 2/08 vor dem Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern eine überlange Dauer von 21 Monaten hatte, |
|
2. |
|
den Beklagten zu verurteilen an die Klägerin 2.100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. |
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dieser macht geltend, dass gem. Artikel 23 Satz 2 und 3 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 03. Dezember 2011 (ÜGG) und § 198 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert seien, die Maßgabe gelte, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden müsse und diese nur in diesem Fall einen Anspruch auch für den vorausgehenden Zeitraum wahre. Vorliegend sei die Rüge nicht unverzüglich sondern mehr als 15 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgt. Werde nicht rechtzeitig gerügt, begründe die Rüge den Anspruch erst vom Rügezeitpunkt an.
Demgegenüber wird klägerseits eingewendet, dass sich die Formulierung “für den vorausgehenden Zeitraum„ in Art. 23 ÜGG allein auf den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 03. Dezember 2011 beziehe und nicht der Zeitraum vor Erhebung der Verzögerungsrüge gemeint sein solle (so OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 10...