Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Überprüfungsantrag. Versagungsbescheid nach § 66 Abs 1 SGB 1. Ablauf der Jahresfrist. Zeitpunkt der Antragstellung. Untätigkeitsklage. Eingang der Klageschrift beim Grundsicherungsträger

 

Orientierungssatz

1. Auch Versagungsbescheide nach § 66 Abs 1 SGB 1 können gemäß § 44 Abs 1 SGB 10 überprüft werden.

2. Durch die Rechtsprechung des BSG (vgl BSG vom 23.2.2017 - B 4 AS 57/15 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 34 RdNr 23) ist geklärt, dass die Verwaltung schon keine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 SGB 10 mehr zu treffen hat, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung keine Wirkungen mehr entfalten kann, also ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen.

3. Selbst wenn eine Untätigkeitsklage als Überprüfungsantrag gewertet werden würde, ist für den Zeitpunkt der Antragstellung (§ 44 Abs 4 S 3 SGB 10) die Übersendung der Klageschrift an den Leistungsträger maßgeblich, da es auf den Eingang des Antrages beim Leistungsträger und nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht ankommt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.11.2019; Aktenzeichen B 14 AS 6/19 BH)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts B-Stadt vom 14. April 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger erstrebt in einem Überprüfungsverfahren die Aufhebung eines Versagungsbescheides und die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit von 1. Oktober 2011 bis 31. März 2014.

Der am 3. xxx 19yy geborene Kläger bezog laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II seitens der ARGE N., deren Rechtsnachfolger der Beklagte ist. Schon im Rahmen der Erstantragstellung im Jahre 2007 hatte er bei der Frage, ob er eine Tätigkeit von mindestens 3 Stunden täglich ausüben könne, angegeben, einen Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente gestellt zu haben, wobei die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei. Bei späteren Weiterzahlungsanträgen gab er dann jeweils an, seit 2007 nicht mehr erwerbsfähig zu sein.

Im Februar 2011 beantragte der Kläger Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) bei dem Fachgebiet Soziales des damaligen Landkreises N. und begehrte bei dem Sozialgericht (SG) B-Stadt am 7. Juni 2011 den Erlass einer einstweiligen Anordnung (Az. S 5 SO 29/11 ER). Nach Beiladung des Jobcenters N. verpflichtete das SG den Beigeladenen mit Beschluss vom 24. Juni 2011, dem Kläger unter Vorbehalt der Rückzahlung monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 51,08 Euro ab dem 7. Juni 2011, längstens bis zum 30. September 2011, zu gewähren. Zur Begründung hieß es zur Abgrenzung der Zuständigkeit der Leistungsträger nach dem SGB II und dem SGB XII, aus dem Umstand, dass der Kläger bis Ende März 2011 Leistungen nach dem SGB II bezogen habe, sei der zwingende Schluss zu ziehen, dass zumindest der Beigeladene den Kläger bis zu diesem Zeitpunkt als erwerbsfähig angesehen habe. Dass der Kläger ab April 2011 keine Leistungen nach dem SGB II mehr bezogen habe, beruhe auch nicht auf einer geänderten Einschätzung der Erwerbsfähigkeit, sondern dem Umstand, dass der Kläger bei dem Beigeladenen keinen Antrag mehr gestellt habe. Allein der Kläger zweifele an seiner Erwerbsfähigkeit, ohne dass eine Feststellung seiner Erwerbsunfähigkeit nach § 44a SGB II durch den Beigeladenen erfolgt sei. Der Leistungsträger stehe jedoch nicht zur Disposition des Leistungsempfängers. Entscheidend sei allein der objektive Zustand der Erwerbsunfähigkeit, welcher nach dem Vorbringen beider Leistungsträger nicht vorliege. Hieraus folge zwingend die grundsätzliche Leistungsberechtigung des Klägers nach dem SGB II.

Nachdem das Jobcenter dem Kläger mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. April bis 6. Juni 2011 bewilligt hatte, wobei als Grund für die vorläufige Bewilligung die noch nicht abgeschlossene Klärung der Erwerbsfähigkeit des Klägers genannt wurde, lehnte das SG nach Beiladung des Jobcenters mit Beschluss vom 14. Oktober 2011 (Az. S 5 SO 19/11 ER) einen Antrag des Klägers, den Sozialhilfeträger zu verpflichten, über seinen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII zu entscheiden und die am 28. Februar 2011 beantragten Leistungen zum 31. März 2011 zu bewilligen, ab, da der Kläger keinen über die durch den Beigeladenen mit Bescheid vom 11. Oktober 2011 bewilligten Leistungen hinausgehenden Anspruch habe. Eine Feststellung der Erwerbsunfähigkeit des Klägers durch den Beigeladenen sei bisher nicht erfolgt, womit der Kläger nach § 44a SGB II als erwerbsfähig im Sinne des SGB II gelte. Hieraus folge die grundsätzliche Leistungsberechtigung des Klägers nach dem SG...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge