Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Ermächtigung zur Erbringung von Dialyseleistungen. Anfechtungsberechtigung eines Dritten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Interessenabwägung. kein besonderer Sicherstellungsbedarf aufgrund persönlicher Bindungen der Patienten. Ermittlungspflichten der Zulassungsgremien. Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung. Anordnung der aufschiebenden Wirkung
Orientierungssatz
1. Kann im Rahmen der in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend geklärt werden, ob die einem Vertragsarzt erteilte Dialysegenehmigung zu Recht erteilt worden ist und kann ebenfalls nicht abschließend geklärt werden, ob der Antragsteller überhaupt berechtigt ist, die (mögliche) Rechtswidrigkeit der Dialysegenehmigung für einen Dritten anzufechten, so ist dem öffentlichen Interesse an einer Sicherstellung der Dialyseversorgung vorläufig der Vorrang einzuräumen.
2. Es ist fraglich, ob der Grundgedanke, bei der medizinischen Versorgung von Dialysepatienten entstehe eine besonders enge Bindung an den behandelnden Vertragsarzt, aus der zumindest hinsichtlich bisher betreuter Dialysepatienten ein besonderer Sicherstellungsbedarf folge, wenn innerhalb einer Versorgungsregion ein Facharzt seinen Vertragsarztsitz aus einer Berufsausübungsgemeinschaft heraus verlege, die Erteilung einer Dialysegenehmigung aus Sicherstellungsgründen ausreichend zu rechtfertigen vermag.
3. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung wiederholt den sich aus § 20 SGB X ergebenden Ermittlungsbedarf der Zulassungsgremien im Bereich der qualitätsbezogenen Sonderbedarfszulassungen nach § 24 der Bedarfsplanungsrichtlinie (juris: ÄBedarfsplRL) hervorgehoben (vgl zuletzt BSG vom 2.9.2009 - B 6 KA 34/08 R = SozR 4-2500 § 101 Nr 7 = BSGE 104, 116). Es spricht viel dafür, diese Anforderungen auf den im Wesentlichen strukturell gleich gelagerten Fall einer aus Sicherstellungsgründen erteilten Dialysegenehmigung zu übertragen.
Normenkette
BMV-Ä § 6 Abs. 3; SGG § 86a Abs. 2 Nr. 5, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 14. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7., die diese selbst tragen.
Gründe
I.
Streitig ist die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs.
Die Antragstellerin (Astin) ist eine aus ursprünglich drei Fachärzten für Innere Medizin mit der Schwerpunktbezeichnung Nephrologie bestehende Berufsausübungsgemeinschaft. Sie betreibt ein Dialysezentrum in E. mit der Genehmigung zur kontinuierlichen Betreuung von bis zu 150 Dialysepatienten.
Der Beigeladene zu 1. war fachärztliches Mitglied dieser Berufsausübungsgemeinschaft. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2009 beantragte er zeitgleich beim Zulassungsausschuss und bei der Antragsgegnerin (Agin) die Verlegung seines Vertragsarztsitzes innerhalb F. unter Mitnahme seines anteiligen Auftrags zur Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten gemäß § 3 Abs 3 S 1 Buchst a der Anl 9.1 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassenvertrag (BMV-Ä/EKV).
Die Agin stellte zunächst das erforderliche Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen her und erteilte anschließend dem Beigeladenen zu 1. mit Wirkung zum 1. April 2010 eine Genehmigung zur kontinuierliche Betreuung von bis zu 30 Dialysepatienten für seine neu gegründete Einzelpraxis in G.. Zur Begründung führte sie aus, der Beigeladene zu 1. habe bisher 37 der knapp über 100 Dialysepatienten der Astin betreut. Daher sei für eine kontinuierliche und wohnortnahe Patientenversorgung aus Sicherstellungsgründen eine zusätzliche Facharztpraxis in H. erforderlich (Dialysegenehmigung vom 11. März 2010).
Nachdem die Astin mit Schreiben vom 15. März 2010 hiergegen Widerspruch erhoben hatte, ordnete die Agin die sofortige Vollziehung der Dialysegenehmigung an. Zur Begründung verwies sie auf das überwiegende Interesse des Beigeladenen zu 1. an einer fortgesetzten kontinuierlichen Betreuung seiner bisherigen Dialysepatienten gegenüber dem nachrangigen Interesse der Astin an einer vorläufigen Aussetzung des zusätzlich für H. erteilten Versorgungsauftrags (Anordnung vom 26. März 2010).
Die Astin hat am 13. April 2010 beim Sozialgericht (SG) Hannover die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs beantragt und vorgetragen, sie sei berechtigt, die dem Beigeladenen zu 1. erteilte Dialysegenehmigung anzufechten. Einer solchen Berechtigung stehe die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. Februar 2007 (SozR 4-1500 § 54 Nr 10 = BSGE 98, 98 bis 108) nicht entgegen. Dieser liege noch die nicht mehr gültige “Vereinbarung gemäß § 135 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Ausführung und Abrechnung von Blutreinigungsverfahren„ vom 16. Juni 1997 zugrunde. Mittlerweile jedoch seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Erteilung einer Dialysegenehmigung drittschütz...