Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Absetzung notwendiger Ausgaben. Erbschaft. Beerdigungskosten. einmalige Einnahme. Beginn des Verteilzeitraums. Wegfall der Hilfebedürftigkeit. Verbrauch der Erbschaft vor Ende des Verteilzeitraums. Darlegungs- und Beweislast. nach Ablauf des Verteilzeitraums noch vorhandene finanzielle Mittel. Vermögen. Ersatzansprüche wegen sozialwidrigen Verhaltens. Verwendung von 5.800 Euro für die Anschaffung von Blu-Ray-Filmen. sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Vermögensfreibetrag
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Anrechnung von Einkommen aus einer während des laufenden SGB 2-Leistungsbezugs angefallenen Erbschaft sind die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen. Hierzu zählen auch die vom Leistungsempfänger getragenen Beerdigungskosten (§ 11b Abs 1 S 1 Nr 5 SGB 2 iVm § 1968 BGB).
2. Bei einmaligem Einkommen beginnt der Verteilzeitraum gem § 11 Abs 3 S 2 und 3 SGB 2 auch dann am ersten Tag des auf den Einkommenszufluss folgenden Monats, wenn der Einkommenszufluss dem
SGB 2-Leistungsträger erst so spät bekannt wird, dass eine Berücksichtigung auch im Folgemonat nicht mehr möglich ist (entgegen LSG Stuttgart vom 25.6.2014 - L 2 AS 2373/13; Revision anhängig beim BSG - B 4 AS 32/14 R).
3. Führt die Anrechnung von einmaligem Einkommen zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit für den gesamten Verteilzeitraum, sind etwaige nach Ablauf des Verteilzeitraums noch vorhandene finanzielle Mittel für den sich anschließenden neuen Leistungsfall nicht mehr als Einkommen, sondern als Vermögen zu berücksichtigen.
4. Beruft sich ein Antragsteller nach Zufluss von einmaligem Einkommen (hier: Erbschaft) auf fehlende sog "bereite Mittel", trägt er selbst die Darlegungs- und Beweislast für den Verbleib bzw Verbrauch des Einkommens.
5. Die Verwendung eines Teilbetrags von 5.800 Euro aus einer während des laufenden SGB 2-Leistungsbezugs angefallenen Erbschaft für die Anschaffung von mehreren hundert Blu-Ray-Filmen bietet Anlass zur Prüfung eines Schadensersatzanspruchs nach § 34 SGB 2.
6. Es wird offen gelassen, ob der Rechtsauffassung zu folgen ist, wonach die Rechtsprechung des BSG zur Hilfebedürftigkeit wegen fehlender "bereiter Mittel" für die seit 1.4.2011 geltende Neufassung des § 11 Abs 3 S 3 SGB 2 nicht mehr maßgeblich sein soll (vgl hierzu: LSG Celle-Bremen vom 3.2.2014 - L 15 AS 437/13 B ER).
7. Der im PKH-Recht geltende allgemeine Vermögensfreibetrag nach § 115 Abs 3 S 2 ZPO iVm § 90 Abs 2 Nr 9 SGB 12 beträgt 2.600 Euro.
Normenkette
SGB II § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Sätze 1-3, § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 12 Abs. 1, § 34 Abs. 1 S. 1; SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 9; BGB § 1968; SGG § 73a Abs. 1 S. 1; ZPO § 115 Abs. 3 Sätze 1-2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. Dezember 2014 wie folgt geändert:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015 (längstens jedoch bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 31. Oktober 2014) vorläufig und unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Widerspruchsverfahrens Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in Höhe von 566,25 Euro pro Monat (einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung) zu zahlen.
Der weitergehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner erstattet dem Antragsteller ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung des Sozialgerichts (SG) Braunschweig, durch die er verpflichtet worden ist, dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung für die Zeit ab dem 15. Dezember 2014 vorläufige Leistungen nach dem SGB II in Höhe von (i.H.v.) 566,25 Euro pro Monat zu gewähren.
Der Antragsgegner gewährte dem im November 1959 geborenen Antragsteller bereits langjährig SGB II-Leistungen. Die letzte Leistungsbewilligung i.H.v. 561,25 Euro pro Monat erfolgte lediglich vorläufig, nachdem der Antragsteller seine am 21. November 2013 bzw. 1. Februar 2014 verstorbenen Eltern beerbt hatte (vgl. vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 24. Juni 2014 für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014). Als Erbe seiner Eltern hatte der Antragsteller im März 2014 aus zwei Lebensversicherungen insgesamt 3.747,44 Euro ausbezahlt bekommen sowie ein Hausgrundstück in F. geerbt. Bei dessen Verkauf erzielte er einen Verkaufserlös von 15.000 Euro (in zwei Teilzahlungen von 14.500 Euro und 500 Euro am 17. bzw. 25. Juli 2014). Ausweislich des Kaufvertrags war der Antragsteller verpflichtet, die Maklerprovision in Höhe von 1.500 Euro zu tragen. Zusätzlic...