Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Beschwerde. Wert des Beschwerdegegenstandes. Asylbewerberleistung. Leistungsberechtigter. Duldung für Personen mit ungeklärter Identität. Analogleistung. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. unterschiedliche Angaben zur Identität. tatbestandliche Voraussetzungen der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2. Nachweis gemeinschaftlicher Haushaltsführung. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. keine verfassungskonforme Auslegung in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Pandemiezuschlag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unterschiedliche Angaben zur Identität (Name, Geburtsdatum etc) während des Asylverfahrens stellen grundsätzlich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten iS des § 2 Abs 1 AsylbLG dar.

2. Inhaber einer Duldung nach § 60b AufenthG sind leistungsberechtigt nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG.

3. Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft iS des § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b, Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG.

4. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b, Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG, nach der die Anwendung der Bedarfsstufe 2 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in einer Sammelunterkunft Untergebrachten voraussetzt, kommt trotz bestehender Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen jedenfalls in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in Betracht (ebenso LSG Berlin-Potsdam vom 29.5.2020 - L 15 AY 14/20 B ER, L 15 AY 15/20 B ER PKH = juris RdNr 15 ff; entgegen LSG Neustrelitz vom 10.6.2020 - L 9 AY 22/19 B ER = SAR 2020, 82 = juris RdNr 17 ff; SG Landshut vom 23.1.2020 - S 11 AY 79/19 ER = ZFSH/SGB 2020, 186 = juris RdNr 40 ff; SG Landshut vom 28.1.2020 - S 11 AY 3/20 ER = juris RdNr 63 ff; SG München vom 10.2.2020 - S 42 AY 82/19 ER = info also 2020, 134 = juris RdNr 56 f).

5. Bei der Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes iS des § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG ist, soweit es um die Bewilligung von laufenden lebensunterhaltssichernden Leistungen geht, jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich von einer Leistungsdauer von (maximal) zwölf Monaten auszugehen (Fortführung von LSG Celle-Bremen vom 12.12.2016 - L 8 AY 51/16 B ER = FEVS 68, 561 = juris RdNr 8, vom 17.8.2017 - L 8 AY 17/17 B ER = Asylmagazin 2017, 417 = juris RdNr 4 sowie vom 12.9.2019 - L 8 AY 12/19 B ER = FEVS 71, 362 = juris RdNr 10).

 

Orientierungssatz

Ein aus Anlass der Corona-Pandemie geltend gemachter Anspruch auf einen pauschalierten "Pandemiezuschlag" kann nicht mit Erfolg auf § 6 Abs 1 AsylbLG gestützt werden, weil diese Vorschrift einen konkreten Bedarf "im Einzelfall" voraussetzt (vgl BSG vom 25.10.2018 - B 7 AY 1/18 R = SozR 4-3520 § 6 Nr 2 = juris RdNr 14 ff).

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 4. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt C., D., bewilligt. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

 

Gründe

I.

Im Streit ist die vorläufige Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG ab April 2020, insbesondere nach § 2 AsylbLG entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 sowie eines Pandemiezuschlages in monatlicher Höhe von 200,00 €.

Der nach eigenen Angaben im Jahr 2000 geborene, aus Gambia stammende Antragsteller reiste am 30.9.2017 erstmals in das Bundesgebiet ein und machte im Asylverfahren unterschiedliche Angaben zu seiner Identität (E. F., geb. am 31.12.1998; G. F., geb. am 30.10.2000; E. F., geb. am 26.10.2000). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte mit Bescheid vom 15.5.2018 die Gewährung von Asyl, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht bestehen, und forderte den Antragsteller auf, innerhalb einer Woche das Bundesgebiet zu verlassen. Anderenfalls werde er nach Gambia abgeschoben.

Im März 2018 wurde der Antragsteller dem örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin zugewiesen. Seit Beendigung des Asylverfahrens wird sein Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet, seit September 2019 als Person mit ungeklärter Identität (§ 60b AufenthG). Das Ausländeramt der Antragsgegnerin forderte den Antragsteller mehrfach zur Beschaffung eines Nationalpasses oder eines Passersatzes und zuletzt u.a. auch zur Vorlage von Nachweisen über die Kontaktaufnahme mit Verwandten im Heimatland, zur Vorlage von Dokumenten aus dem Heimatland und zur Beauftragung eines Vertrauensanwaltes im Heimatland (Schreiben vom 9.9.2020 und 4.5.2020) auf. Auf eine Vorsprache teilte die Botschaft von Gambia mit Schreiben vom 31.7.2019 mit, dass die persönliche Anwese...

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