Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Verschuldenskosten. Auferlegung von Verfahrenskosten auf die Behörde wegen unterlassener Ermittlungen im Verwaltungsverfahren. Anwendbarkeit von § 192 Abs 4 S 1 SGG in vor dem 1.4.2008 anhängig gewordenen Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 192 Abs 4 S 1 SGG, in Kraft getreten am 1.4.2008, ist auch in Verfahren anzuwenden, die vor dem 1.4.2008 anhängig geworden sind.

2. Die Anwendung des § 192 Abs 4 S 1 SGG setzt nicht voraus, dass die vom Gericht nachgeholten Ermittlungen zu einem anderen Ergebnis kommen als die vom Versicherungsträger im Verwaltungsverfahren durchgeführten ungenügenden Ermittlungen.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beklagte wendet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aurich vom 17. März 2009. Darin hat das SG die Beklagte verpflichtet, die Kosten für das vom SG eingeholte Gutachten des Dr C. gem § 192 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu übernehmen, weil das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) aus dem Verwaltungsverfahren nicht ausreichend gewesen sei.

Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Beklagte erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen habe, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt worden seien. Die Beklagte habe im Verwaltungsverfahren Ermittlungen nur insoweit durchgeführt, als sie ein Gutachten des MDK eingeholt habe. Bereits im Widerspruchsverfahren sei von Seiten der Klägerin gerügt worden, dass dieses Gutachten unzureichend sei. Der MDK habe darin lediglich ausgeführt, dass physiotherapeutische Maßnahmen indiziert seien, ohne sich jedoch mit dem Krankheitsbild und der ärztlichen Verordnung im Einzelnen auseinander zu setzen. Gleichwohl sei der Widerspruch ohne weitere Ermittlungen unter Hinweis auf das Gutachten des MDK zurückgewiesen worden. Das Gutachten des MDK sei, so das SG, jedoch keine tragfähige Grundlage für die erfolgte Ablehnung des geltend gemachten Leistungsanspruchs der Klägerin gewesen. Für die in dem Gutachten aufgestellte Behauptung, physiotherapeutische Maßnahmen reichten aus und der begehrte Bewegungstrainer stelle eine Überversorgung dar, habe jegliche medizinische Begründung gefehlt. Es hätten bereits keine aktuellen Unterlagen über das Krankheitsbild der Klägerin bei der Beurteilung durch den MDK vorgelegen. Es hätten lediglich die Verordnung vom 21. September 2007 sowie ein älteres Pflegegutachten aus dem Jahre 2003 vorgelegen. Für eine seriöse Beurteilung wäre die Kenntnis des aktuellen Krankheitsbildes der Klägerin und des aktuellen Therapiebedarfs erforderlich gewesen. Darüber hinaus hätten Feststellungen zur Versorgungssituation der Klägerin mit Hilfsmitteln folgen müssen sowie eine Auseinandersetzung mit den von der Herstellerseite angegeben therapeutischen Effekten des in Rede stehenden Bewegungstrainers. Nähere Ausführungen zu den entscheidungserheblichen Fragen habe der MDK möglicherweise auch deshalb nicht für erforderlich erachtet, weil der Bewegungstrainer noch nicht im Hilfsmittelkatalog aufgeführt gewesen sei und daher nach seiner unzutreffenden Rechtsauffassung eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ohnehin nicht in Betracht gekommen sei.

Gegen den der Beklagten am 27. März 2009 zugestellten Beschluss hat diese Beschwerde eingelegt, die am 1. April 2009 beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingegangen ist.

Mit der Beschwerde hat die Beklagte erneut vorgetragen, dass die Versorgung mit dem Bewegungstrainer eine Überversorgung darstellen würde und eine Kostenübernahme daher nicht befürwortet werde. Nach Einholung des Gutachtens habe auch das SG die Klage abgewiesen. Gleichwohl seien der Beklagten die Kosten für das vom SG eingeholte Gutachten auferlegt worden. Im vorliegenden Fall sei es um die Kostenübernahme für ein spezielles Bewegungssystem in Höhe von über 15.000,-- Euro gegangen. Dies bedeute, dass deutlich höhere Kosten anfallen würden, als bei herkömmlichen Bewegungstrainern. Wenn nun der MDK zu der Erkenntnis gelange, dass hier eine Überversorgung vorläge, so stelle dies keine Überraschung dar und sei sicherlich kein Grund für die Beklagte, weitere Ermittlungen anzustellen. Wie in zahlreichen anderen Fällen auch habe der MDK weitere physiotherapeutische Maßnahmen für erforderlich gehalten und den Einsatz des Bewegungstrainers nicht für angezeigt gehalten. Da das vom SG eingeholte Gutachten das gleiche Ergebnis habe, könne dies nicht dazu führen, dass der Beklagten die Kosten des Sachverständigengutachtens auferlegt würden.

II.

Die gem § 172 SGG zulässige Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet.

Gem § 192 Abs 4 Satz 1 SGG kann das Gericht der Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden. Der Senat hält die Regelung in § 192 Abs 4 Satz...

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