Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Statthaftigkeit der Beschwerde. Zulassungsbedürftigkeit der Berufung in der Hauptsache. Beschwerdewert. Bestimmung nach einer Leistungsdauer von maximal 12 Monaten. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Analogleistung. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. abweichende Identitätsangaben. Einreise trotz Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Staat. Anordnungsgrund. Differenz zwischen Analogleistungen und Grundleistungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Abweichende Identitätsangaben in anderen Mitgliedstaaten der EU oder einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat (hier Italien und Norwegen) vor dem Aufenthalt in Deutschland können im Einzelfall kein rechtsmissbräuchliches Verhalten iS des § 2 Abs 1 AsylbLG darstellen.

2. Die Einreise nach Deutschland selbst ist kein rechtsmissbräuchliches Verhalten iS des § 2 Abs 1 AsylbLG, selbst wenn zuvor internationaler Schutz durch einen anderen Mitgliedstaat der EU oder einen am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat gewährt worden ist.

3. Bei der Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes iS des § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG ist, soweit es um die Bewilligung von laufenden lebensunterhaltssichernden Leistungen geht, jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich von einer Leistungsdauer von (maximal) zwölf Monaten auszugehen (Fortführung von LSG Celle-Bremen vom 12.12.2016 - L 8 AY 51/16 B ER = FEVS 68, 561 = juris RdNr 8 und vom 17.8.2017 - L 8 AY 17/17 B ER = Asylmagazin 2017, 417 = juris RdNr 4).

4. Für den Anordnungsanspruch, anstelle von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG vorläufig sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG zu erhalten, besteht jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG (BGBl I 2019, 1290 - juris: AsylbLGÄndG 3) am 1.9.2019 eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund).

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 12.3.2019 aufgehoben, soweit hiermit der Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz abgelehnt worden ist.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung lebensunterhaltssichernde Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII für die Zeit vom 1.3.2019 bis zum 31.12.2019 unter Anrechnung der bereits für diese Zeit erbrachten Leistungen zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das erstinstanzliche und das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller verfolgt im Eilverfahren einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG. Umstritten ist hierbei, ob er einen Anspruch auf so genannte Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG anstelle der bisher gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG hat und - wenn dies nicht der Fall sein sollte - ob ihm ein Anspruch auf höhere Grundleistungen zusteht.

Der Antragsteller, der nach seinen Angaben 1990 geboren und somalischer Staatsangehöriger ist, reiste vermutlich im Juni 2016 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass dem Antragsteller bereits in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei. Zugleich stellte das BAMF das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG fest, forderte den Antragsteller zum Verlassen Deutschlands auf, drohte die Abschiebung nach Italien an und stellte fest, dass keine Abschiebung nach Somalia erfolgen darf (Bescheid vom 22.11.2017). Die gegen diesen Bescheid vom Antragsteller erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts - VG - Göttingen vom 15.10.2018 - 3 A 745/17 -). Der Antragsteller ist seit dem 16.4.2019 im Besitz einer Duldung.

Seit August 2016 gewährt die Antragsgegnerin dem Antragsteller Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, wobei dies teilweise auf der Grundlage von schriftlichen Bescheiden für einen Monat oder mehrere Monate und teilweise ohne schriftlichen Bescheid erfolgt. Mehrere Widersprüche, mit denen der Antragsteller höhere Leistungsansprüche geltend machte, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide der Antragsgegnerin vom 25.4., 19.5. und 14.8.2019). Insoweit sind beim Sozialgericht (SG) Hildesheim mehrere Klageverfahren anhängig. Über einen am 5.8.2019 erhobenen Widerspruch, der die Leistungsgewährung für August 2019 betrifft, hat die Antragsgegnerin noch nicht entschieden.

Bereits am 20.2.2019 hat der Antragsteller beim SG Hildesheim einen auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG gerichteten Eilantrag gestellt. Er hat vorgetragen, dass nicht ersichtlich sei, aus welchem Grund er keine Leistungen nach § 2 AsylbLG erhalte. Im Übrigen seien die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG entsprechend der gesetzlichen Vorgabe fortzuschreiben.

Mit Beschluss vom 12.3.2019 hat das SG den Eilantr...

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