Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Rechtsschutzform. keine Versagung von Leistungen wegen Unzumutbarkeit der Mitwirkung. Anforderungen an Beibringung von Nachweisen. Grenze der Mitwirkungspflicht. Mietbescheinigung. soziokulturelles Existenzminimum

 

Leitsatz (amtlich)

1. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Entziehung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wegen fehlender Mitwirkung auf der Grundlage des § 66 Abs 1 S 1 SGB 1 haben nach § 86a Abs 2 Nr 4 SGG iVm § 39 Nr 1 SGB 2 keine aufschiebende Wirkung. Einstweiliger gerichtlicher Rechtsschutz dagegen erfolgt grundsätzlich im Vollzugsaussetzungsverfahren nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG.

2. Werden auf der Grundlage des § 66 Abs 1 S 1 SGB 1 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende versagt, kann die bloße Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels jedoch keine effektive Rechtsschutzgewährleistung bewirken. Die Rechtsschutzgewährleistung hat daher nach § 86b Abs 2 SGG im Wege der einstweiligen Anordnung zu erfolgen.

3. Die Grenzen der Mitwirkungspflichten nach den §§ 60ff SGB 1 sind überschritten, wenn der Träger der Grundsicherungsleistungen einem Leistungsantragsteller aufgibt, Urkunden von einem privaten Dritten zu beschaffen und vorzulegen, der nicht am Sozialleistungsverhältnis beteiligt ist. Auskunftspflichten, die Dritte betreffen, erstrecken sich allenfalls auf Tatsachen, die dem Leistungsempfänger selbst bekannt sind. Grundsätzlich besteht keine Ermittlungspflicht des Leistungsempfängers gegenüber Dritten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Dritte es abgelehnt hat, entsprechende Angaben zu machen oder preiszugeben. Entsprechendes gilt für das Verlangen, mit einem Dritten eine gemeinsame Antragstellung vorzunehmen. Der Träger der Grundsicherungsleistungen ist gehalten, für entscheidungserheblich erachtete Auskünfte nach § 60 SGB 2 direkt von dem Dritten zu beschaffen.

 

Orientierungssatz

1. Die Nichtvorlage einer durch den Vermieter ausgefüllten Mietbescheinigung, die aufgrund der Vermutung einer eheähnlichen Gemeinschaft angefordert wurde, berechtigt den Grundsicherungsträger nicht zur Leistungsentziehung nach § 66 Abs 1 S 1 SGB 1, wenn der Hilfebedürftige bereits im Rahmen der Leistungsbeantragung 1 Monat zuvor den Hauptmietvertrag vorgelegt hat und dieser weder vom Grundsicherungsträger beanstandet worden noch ansonsten ersichtlich ist, dass zur Prüfung der Leistung Angaben erforderlich sind, die diesem Mietvertrag nicht entnommen werden können.

2. Stehen dem Hilfebedürftigen Leistungen nicht zur Verfügung, die das soziokulturelle Existenzminimum absichern sollen, und macht er diese im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend, so ist regelmäßig vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes iS des § 86b Abs 2 S 2 SGG auszugehen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 31.Oktober2007 aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers beim Sozialgericht Lüneburg (S 40 AS 1512/07) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.August2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.Oktober2007 (W 1123/07) wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller im Wege der Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ab dem 01. November 2007 bis zu einer Entscheidung über einen Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 28. September 2007, längstens jedoch für 6 Monate, Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende in Höhe der Regelleistung nach §20 SGBII zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers beider Instanzen zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung und die Nichtgewährung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende.

Der am 15. September 1953 geborene Antragsteller bezog ab dem 08. Mai 2006 Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende von der Antragsgegnerin. Zuletzt bewilligte ihm die Antragsgegnerin derartige Leistungen mit Bescheid vom 28. März 2007 in Gestalt eines Änderungsbescheides vom 25. Juni 2007 für den Zeitraum vom 01. Mai bis 31. Mai 2007 in Höhe von 649,60 €, für die Zeit vom 01. Juni bis 30. Juni 2007 in Höhe von 612,60 € und für die Zeit vom 01. Juli bis 31. Oktober 2007 in Höhe von 614,60 € monatlich. Bereits im Rahmen der ersten Antragstellung im Mai 2006 hatte der Antragsteller zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung angegeben, ein Untermietverhältnis mit Frau D. in der Wohnung E. in F. begründet zu haben. Im Rahmen der zuletzt erfolgten Leistungsbewilligung gab er an, dass Frau G. ihr Haus in H. verkauft und in die I. nach J. verzogen sei. In dieser Wohnung habe er erneut ab dem 01. Mai 2007 ein Untermietverhältnis mit Frau G. begründet. Die Antragsgegnerin führte daraufhin am 03. Juli 2007 unter der neuen Anschrift des Antragstellers einen Hausbesuch durch (vgl. Bl. 90 - 92 BA). Mit Anhörungsschreiben vom 19. Juli 2007 tei...

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