Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. alleiniger Aufenthaltszweck. Nichtgeltung des Ausschlusses für Ausländer nach EuFürsAbk
Leitsatz (amtlich)
1. § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 - seine Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot des Art 12 EG unterstellt - schließt einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen für Ausländer nur aus, wenn sich das Aufenthaltsrecht ausschließlich auf den Grund "zur Arbeitsuche" stützt. Beruht das Aufenthaltsrecht des Ausländers auch auf dem Grund "Ehegattennachzug", sind Leistungen zu bewilligen.
2. Das EuFürsAbk ist innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes Recht und von den Sozialleistungsträgern und den Gerichten zu beachten. Es geht als lex specialis der grundsätzlich alle Ausländer betreffenden Regelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 bzw § 23 Abs 3 SGB 12 (Fassung ab 7.12.2006) vor. Für den vom EuFürsAbk erfassten Personenkreis ist der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 wirkungslos.
Orientierungssatz
Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19ff SGB 2 unterfallen dem Begriff der Fürsorge nach EuFürsAbk, auch wenn das SGB 2 im Anh 1 zum EuFürsAbk noch nicht als Fürsorgegesetz iS von Art 1 EuFürsAbk aufgeführt und eine Mitteilung nach Art 16ff EuFürsAbk noch nicht erfolgt ist.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 20. Februar 2007 aufgehoben.
Die Beigeladene wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig - unter dem Vorbehalt der Rückforderung - ab dem 14.Dezember 2006 bis 30.Juni 2007 Arbeitslosengeld II auf ihren Antrag vom 29.Juni 2006 zu gewähren.
Die Beigeladene erstattet der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 20. Februar 2007 ist begründet. Das Begehren der Antragstellerin war darauf gerichtet, entweder Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) oder nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zu erhalten. In diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass sie einen Leistungsanspruch auf die Gewährung des Arbeitslosengeld II (Alg II) nach dem SGB II hat. Dementsprechend war die Beigeladene im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zur Gewährung zu verpflichten.
Die im Mai 1982 geborene Antragstellerin ist niederländische Staatsangehörige afghanischer Herkunft. Ihr Geburtsort ist F., (Afghanistan). Die Antragstellerin ist verheiratet mit dem im März 1977 ebenfalls in F. geborenen afghanischen Staatsangehörigen G. H.. Die Eheschließung fand am 26. Mai 2004 in den Niederlanden statt (Standesamt I.). Aus dieser Ehe stammt der am 26. März 2007 in J. geborene Sohn K.. Seit der Geburt ihres Sohnes erhält die Antragstellerin Elterngeld nach dem Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG).
Der Ehemann ist anerkannter Konventionsflüchtling (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Konvention -) und besitzt eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Der Ehemann war - soweit das aus den Akten ersichtlich wird -, zu Beginn des Jahres 2006 erwerbstätig und erzielte monatlich circa 1.000,00 € netto. Eine Kündigung dieses Beschäftigungsverhältnisses erfolgte laut Kündigungsschreiben vom 21. Juni 2006 “ab 01.07.2006„.
Die Antragstellerin reiste am 1. April 2006 - aus den Niederlanden kommend - nach Deutschland ein und wohnt seitdem bei ihrem Ehemann. Sie hat eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU vom 12. April 2006 der Landeshauptstadt J. erhalten, in welcher ihr bescheinigt wird, dass das Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU am heutigen Tage bestehe, weil sie - die Antragstellerin - glaubhaft gemacht habe, dass sie nicht erwerbstätig sei, aber über ausreichende Existenzmittel für den Lebensunterhalt sowie über Krankenversicherungsschutz verfüge.
Mit Antrag vom 29. Juni 2006 begehrten die Eheleute Leistungen nach dem SGB II. Dem Ehemann wurden Leistungen bewilligt (Bescheid vom 1. August 2006, ab 1. August bis 31. Dezember 2006, monatlicher Zahlbetrag 429,79 €). Leistungen an die Antragstellerin wurden mit Bescheid vom 2. August 2006 abgelehnt. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Beigeladenen vom 6. November 2006 als unbegründet zurückgewiesen. Der Leistungsausschluss ergebe sich aus § 7 Abs 1 Satz 2 erste Alternative SGB II; diese Regelung lehne sich an § 2 Freizügigkeitsgesetz/EU an in den Fällen, in denen sich das Aufenthaltsrecht ausschließlich auf den Grund der Arbeitsuche stütze, § 2 Abs 2 Nr 1 Freizügigkeitsgesetz/EU. Die Antragstellerin sei im Besitz einer Bescheinigung nach § 4 (richtig § 5) Freizügigkeits...