Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. hinreichende Erfolgsaussicht. Einholung von ärztlichen Befundberichten mit Zusatzfragen. über die Kontrolle von Klägerbehauptungen hinausgehende Sachverhaltsermittlung. bereits durchgeführte Beweiserhebung
Leitsatz (amtlich)
Das Einholen von Befundberichten rechtfertigt jedenfalls dann die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne von § 73a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO, wenn die Befundberichtsanforderung mit spezifischen weiteren Fragen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung verbunden wird.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. August 2019 aufgehoben.
Dem Kläger wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin F., ohne Ratenzahlung bewilligt.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die form- und fristgerecht (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) am 26. September 2019 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, Klägers und Beschwerdeführers (im Folgenden Kläger) gegen den Prozesskostenhilfe (PKH) versagenden Beschluss des Sozialgerichts (SG) Braunschweig vom 26. August 2019 ist zulässig.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das SG hat den Antrag auf Gewährung von PKH zu Unrecht abgelehnt. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinreichend in diesem Sinne sind die Erfolgsaussichten einer Klage nicht erst dann, wenn bei der notwendigerweise prognostischen Beurteilung der Möglichkeiten eines Klageerfolgs ein späteres Obsiegen bereits wahrscheinlicher erscheint als ein Unterliegen. Vielmehr genügt es für die Bewilligung von PKH, wenn die Klage auf der Grundlage eines vorläufig vertretbaren, diskussionswürdigen Rechtsstandpunkts schlüssig begründbar ist und in tatsächlicher Hinsicht die gute Möglichkeit der Beweisführung besteht (Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl., § 73 a Rn. 7a). Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten insoweit eine nicht zu strenge Prüfung geboten. Artikel 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 und 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebieten eine weitgehende Gleichstellung von bemittelten und unbemittelten Personen hinsichtlich ihrer jeweiligen Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können (Gebot der Rechtsschutzgleichheit - Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa Beschluss vom 24. März 2011 - 1 BvR 2493/10 = ZfSH/SGB 2011,475f; vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 2310/06 = NJW 2009, 209 ≪Beratungshilfe≫; vom 26. April 1988 - 1 BvL 84/86 = BVerfGE 78, 104 vgl. dazu auch Gaier, NJW 2013, 2871, 2872.; Schweigler, SGb 2017, 314 ff.). Dabei würde insbesondere die Rechtsweggarantie des Artikel 19 Abs. 4 GG gegenüber hoheitlichem Handeln von Sozialleistungsträgern verfehlt, wenn die erst als Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens zu erwartende Klärung rechtlich und tatsächlich entscheidungserheblicher Zweifel im Sinne einer allzu vergröbernden Entscheidungsprognose in das PKH-Bewilligungsverfahren vorverlagert würde. PKH darf deshalb unter dem Gesichtspunkt der nicht hinreichenden Erfolgsaussicht nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache, wenn schon nicht auszuschließen, so doch wenigstens gänzlich fernliegend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2000 - 1 BvR 81/00 = NJW 2000, 1936 ff zur PKH-Bewilligung bei offenen Rechtsfragen).
Hinreichende Erfolgsaussicht besteht hiernach im sozialgerichtlichen Klage- und Berufungsverfahren in der Regel insbesondere auch, wenn es im Rahmen der dem Gericht obliegenden Pflicht zur Sachaufklärung noch weiterer entscheidungserheblicher Ermittlungen oder Beweiserhebungen bedarf (ständige Spruchpraxis des erkennenden Senats vgl. dazu aus jüngerer Zeit etwa Beschluss vom 2. Januar 2018 L 10 SB 144/17 B; Beschluss vom 15. März 2018 L 10 VE 3/18 B; Beschluss vom 9. Oktober 2018 L 10 VE 52/18 B; Beschluss vom 11. Oktober 2018 L 10 VE 40/18 B; vgl. auch Beschluss des 9. Senats des erkennenden Gerichts vom 13. Dezember 2005, L 9 B 37/05 U; Meyer-Ladewig, a.a.O., § 73 a Rn 7 a); dies gilt jedenfalls, wenn ein günstiges Ergebnis der Beweisaufnahme nicht unwahrscheinlich bzw. die Erfolgsaussicht nur eine entfernte ist.
Der für die Beurteilung der Voraussetzungen der PKH maßgebliche Zeitpunkt ist dabei grundsätzlich der der Entscheidungsreife des Bewilligungsgesuchs, d.h. der Zeitpunkt, in dem alle für die Entscheidung über den Antrag erforderlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Tatsachen gemäß §§ 117, 118 ZPO aus dem Vortrag des Antragstellers/Klägers und den Akten zu entnehmen sind (Leitherer, a.a.O., § 73a Rn. 7d). Andernfalls würde der...