Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Sonderbedarfszulassung über § 103 Abs 7 SGB 5. Anordnung der sofortigen Vollziehung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Entscheidung über den Sofortvollzug. Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung. Klagebefugnis niedergelassener Vertragsärzte auch bei fehlender Bewerbung auf die Ausschreibung der Belegarztstelle. missbräuchliche Inanspruchnahme der Sonderbedarfszulassung bei untergeordneter Bedeutung der belegärztlichen Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Sonderbedarfszulassung gemäß § 103 Abs 7 SGB 5 kann im Rahmen der Entscheidung über den Sofortvollzug eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung vorliegen. In diesem Fall ist die Sach- und Rechtslage nicht summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl BVerfG vom 12.1.1993 - 1 BvR 1474/92 = BVerfGE 88,76 und vom 17.8.1993 - 1 BvR 1474/92 = BVerfGE 89, 113).
2. Niedergelassene Vertragsärzte aus dem Planungsbereich sind im Verfahren des § 103 Abs 7 SGB 5 auch dann klagebefugt, wenn sie sich nicht auf die Ausschreibung der Belagarztstelle beworben haben (Fortführung von BVerfG vom 17.8.2004 - 1 BvR 378/00 = SozR 4-1500 § 54 Nr 4 und von BSG vom 17.10.2007 - B 6 KA 42/06 R = SozR 4-2500 § 116 Nr 4 und vom 7.2.2007 - B 6 KA 8/06 R = SozR 4-1500 § 54 Nr 10).
3. Die belegärztliche Tätigkeit ist bei einem Belegbett von untergeordneter Bedeutung und die Zulassung des Arztes dient damit nicht in erster Linie dem Zweck des § 103 Abs 7 SGB 5, wenn gleichzeitig im Belegarztvertrag vom Belegarzt Zusatzleistungen ausbedungen werden, die dem Aufgabenfeld des Krankenhauses zugeordnet sind und von dem abweichen, was typischerweise dem belegärztlichen Tätigkeitsumfang entspricht. Darunter fallen zB eine 24-stündige Rufbereitschaft nicht nur für Belegpatienten, sondern auch stationäre HNO-Patienten oder verunfallte Patienten mit HNO-Behandlungsbedarf (Verstoß gegen § 39 Abs 5 BMV-Ä bzw § 31 Abs 6 EKV-Ä), sowie die Verpflichtung, dass der Belegarzt Patienten der eigenen Praxis im Krankenhaus ambulant operieren muss.
Tenor
Die Beschwerden des Antragstellers und der Beigeladenen zu 2. gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 12. August 2008 werden zurückgewiesen.
Der Antragsteller und die Beigeladene zu 2. tragen auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1. und zu 3. bis 10., die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird auf 87.973,34 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens um die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners (Ag) vom 28. Mai 2008.
Der 1970 geborene Antragsteller (Ast) ist Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohren-Heilkunde (HNO-Heilkunde). Bis zum 07. Dezember 2007 war er als Facharzt für HNO-Heilkunde beim Bundeswehr-Krankenhaus G. an der dortigen HNO-Klinik beschäftigt.
Die Beigeladene zu 2. unterhält ein Krankenhaus in H., das über eine HNO-ärztliche Belegabteilung mit ursprünglich vier Planbetten verfügt. Laut der Anlage zum Feststellungsbescheid des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit vom 20. Dezember 2007 erfolgte zum 01. Januar 2008 eine Reduzierung auf drei Belegbetten. Als Belegarzt ist dort zum einen der in H. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene HNO-Arzt Dr. von Boetticher tätig. Zum anderen war seit 2001 der Beigeladene zu 3. als Belegarzt bei der Beigeladenen zu 2. tätig, der mit dem Beigeladenen zu 10. als Facharzt für HNO-Heilkunde in I. in einer Gemeinschaftspraxis (heute: örtliche Berufsausübungsgemeinschaft) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Der Planungsbereich "J. " ist für HNO-Ärzte - bei einem Versorgungsgrad von 118,3 % - gesperrt. Im Jahr 2007 kam es zwischen der Beigeladenen zu 2. und dem Beigeladenen zu 3. zu Gesprächen über die Ausgestaltung des Belegarztverhältnisses. Da keine Einigung zwischen den beiden erzielt wurde, schlossen sie am 01. September 2007 einen Änderungsvertrag zum Belegarztvertrag vom 03. März 2005, wonach der am 27. November 2000 geschlossene Belegarztvertrag zum 30. September 2007 endete.
Nachdem die Vertragsverhandlungen mit der Beigeladenen zu 2. gescheitert waren, schrieb die Beigeladene zu 2. im Deutschen Ärzteblatt (DÄ) Heft 31/32 vom 06. August 2007 die Besetzung einer Stelle als Belegarzt für die Fachrichtung HNO-Heilkunde aus. Die Bewerbung sei innerhalb von vier Wochen nach dem Erscheinen der Anzeige bei der Beigeladenen zu 2. einzureichen.
Nachdem sich kein niedergelassener HNO-Arzt aus dem Planungsbezirk "Landkreis K. für die Belegarztstelle beworben hatte, schloss die Beigeladene zu 2. mit dem Ast einen belegärztlichen Vertrag zum 01. Januar 2008 (Vertragsdatum 09. Oktober 2007).
Am 28. September 2007 beantragte der Ast beim Zulassungsausschuss für Ärzte - Lüneburg (im Folgenden: Zulassungsausschuss) die Zulassung zur Vertragspraxis im Rahmen einer Belegarztanerkennung (§ 103 Abs. 7 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs - SGB V -). Im ...