Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattungsanspruch (hier: verneint). Krankenhausbehandlung im Ausland (hier: in Privatklinik während Urlaubs in der Türkei). Grauer Star. angebliche Notfallbehandlung (hier: nach behauptetem Sturz). typischer Verlauf einer Alterserkrankung
Leitsatz (amtlich)
Kein Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für die Operation eines Grauen Stars an beiden Augen in einer Privatklinik in der Türkei.
Orientierungssatz
1. Unabhängig von weiteren im vorliegenden Einzelfall entgegenstehenden Gründen ist weder ersichtlich, dass es sich um eine Notfallbehandlung der Augen noch um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt hat, zumal auch gleich beide Augen behandelt wurden.
2. Der typische Verlauf einer Alterserkrankung kann nicht als Notfall gesehen werden.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 31. März 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für eine in der Türkei selbstbeschaffte Katarakt-Ope-ration über einen Betrag in Höhe von 1.552, 50 Euro (10.172,10 TL).
Die 1965 geborene Klägerin litt seit 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen.
Die Klägerin befand sich vom 4. April 2019 bis 25. April 2019 zum Urlaub in der Türkei. Im Verlauf des Urlaubs stürzte die Klägerin nach ihren Angaben.
Am 18. April 2019 wurde die Klägerin dort in dem Krankenhaus I. Poliklinik für Augenkrankheiten -2-, einer Privatklinik, als Privatpatientin aufgenommen. Am 19. April 2019 wurde dort eine bilaterale, multifokale intraokuläre Linse implantiert. Als Enddiagnose wurde im Anamneseformular „H25 Seniler Katerakt“ und als Beschwerden „Sehschwäche an den rechten und linken Augen“ angegeben. Die Rechnung über die Untersuchung und die Augenoperation über insgesamt 10.050,00 TL datiert vom 18. April 2019.
Am 2. Mai 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Augenoperation in der Türkei. Dabei legte sie Rechnungen über einen Gesamtbetrag von 10.172,10 TL vor. Eine Zustimmung zur Operation hatte sie nicht eingeholt.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2019 lehnte die Beklagte den Kostenerstattungsanspruch ab. Zur Begründung führte sie aus, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei ein Abkommen über die soziale Sicherheit abgeschlossen worden sei (Deutsch-Türkisches Sozialversicherungsabkommen [DT-SVA]). Diese Abkommen gelte für eine Person, bei der der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthaltes im Gebiet des anderen Vertragsstaates eintrete, nur, wenn die Person wegen ihres Zustandes sofort Leistungen benötige und diese nicht bis zur beabsichtigten Rückkehr in den zuständigen Staat zurückgestellt werden könnten. Ein Anspruch auf Sachleistungen bestünde nicht, wenn eine Behandlung während des Aufenthaltes in dem anderen Abkommensstaat vorhersehbar sei. In diesen Fällen sei der Anspruch auf Sachleistungen von der Zustimmung des zuständigen Trägers abhängig. Eine Katarakt-Operation stelle keine Notfallbehandlung im Sinne des Abkommens dar. Bei einer Katarakt-Operation würde der „graue Star“ behandelt. Dies sei in der Regel ein schleichender Pro-zess. Dies bedeute, dass diese Erkrankung in der Regel nicht in wenigen Tagen zum Vorschein komme. Es werde davon ausgegangen, dass die Erkrankung bereits vor Abreise in die Türkei bestanden habe. Ein Katarakt stelle keine Erkrankung dar, die nicht bis zur Rückkehr nach Deutschland habe zurückgestellt werden können. Es liege kein Flugverbot vor, so dass eine frühere Rückreise nach Deutschland möglich gewesen sei. Daher wäre der Anspruch auf Kostenübernahme bezüglich der Operation von der Zustimmung der Beklagten abhängig gewesen. Diese habe die Klägerin jedoch zuvor nicht eingeholt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass richtig sei, dass sie seit längerer Zeit Probleme mit ihren Augen gehabt habe. Sie sei deshalb auch immer wieder bei ihrem Hausarzt Dr J. in Behandlung gewesen. Herr Dr J. habe immer versichert, dass alles in Ordnung sei. Im April 2019 habe sie sich mit der Familie zum Urlaub in der Türkei aufgehalten. Dort sei es mit den Augen so schlimm geworden, dass sie das Tageslicht verloren habe und stark gestürzt sei. Sie sei vom Bruder zum Arzt gebracht worden und dieser habe beschlossen, sie in einer Notoperation zu behandeln. Dies sei alles so schnell gegangen, dass sie gar nicht habe realisieren können, wie schlimm ihr Zustand eigentlich gewesen sei. Sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Leistungsanspruch gemäß § 16 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ruhe, solange sich der Versicherte im Ausland aufhalte, und zwar auch dann, wenn er dort während eines vorüberge...