Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Hilfebedürftigkeit. Neuregelung der Berücksichtigung des Einkommens des in Bedarfsgemeinschaft lebenden Stiefelternteils zugunsten des nicht leiblichen Kindes. keine Anwendung bei Verweigerung des Stiefelternteils
Leitsatz (amtlich)
Einkommen eines Stiefelternteils kann nicht nach § 9 Abs 2 S 2 SGB 2 berücksichtigt werden, wenn der Nachweis erbracht ist, dass das Stiefkind wegen der Weigerung des Stiefelternteils tatsächlich existenzsichernde Leistungen nicht erhält.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 15. Oktober 2007 wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum 26. September bis 31. Dezember 2007 monatlich 54,-- € Sozialgeld unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen im Hauptsacheverfahren zu zahlen.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aus beiden Rechtszügen.
Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin L. Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für den 2. Rechtszug gewährt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt ab Juli 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form von Sozialgeld.
Die am 9. Juni 1995 geborene und stark verhaltensauffällige (vgl. Bericht der Familienhelferin D. vom 8. Februar 2005) Antragstellerin zog im August 2004 nach einem Aufenthalt in einer Pflegefamilie zu ihrer Mutter und deren Lebensgefährten E. (R) in deren gemeinsame Wohnung. R. ist als Schachtmeister beschäftigt und seit Februar 2006 mit der Mutter der Antragstellerin verheiratet. Bis 31. Dezember 2004 gewährte die Stadt Celle Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Am 22. Dezember 2004 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin Sozialgeld gemäß § 28 Sozialgesetzbuch II (SGB II). Ihre Mutter teilte mit Schreiben vom 25. Januar 2005 mit, dass weder sie noch der leibliche (alkoholabhängige) Vater in der Lage seien, für den Unterhalt der Antragstellerin aufzukommen. R. lebe nicht mit der Antragstellerin auf familiärer Grundlage. Für die Antragstellerin werde selbständig und getrennt gewirtschaftet. Da das Kindergeld zur Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht ausreiche, habe man bereits eine Geldspende der Stadt Celle (für einen Tisch und einen Stuhl) in Anspruch nehmen müssen. R. gab mit Schreiben vom 27. Januar 2005 an, er leiste Unterhalt für seine eigenen Kinder. Für den Unterhalt der Antragstellerin seien deren Eltern zuständig. Er zahle keinen Unterhalt für ein neunjähriges Kind, das ihm durch Behörden in die Wohnung gebracht worden sei. Er habe zudem hohe finanzielle Verpflichtungen. Die Antragsgegnerin erkannte den Anspruch im Rahmen des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg (S 25 AS 27/05) an und gewährte in der Folgezeit Sozialgeld unter Anrechnung des Kindergeldes.
Den Antrag auf Fortzahlung ab Juli 2007 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. Juli 2007 mit der Begründung ab, seit dem 1. August 2006 sei auch das Einkommen eines Stiefvaters bei der Berechnung des Bedarfs zu berücksichtigen (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2007).
Dagegen hat die Antragstellerin am 1. August 2007 Klage vor dem SG Lüneburg (S 19 AS 1397/07=S 23 AS 1117/07) erhoben und dort am 26. September 2007 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die Vermutung des hier anzuwendenden § 9 Abs 5 SGB II sei im vorliegenden Fall aufgrund der Erklärungen des R. widerlegt. Eine Unterhaltsleistung sei angesichts der Einkommensverhältnisse des R. auch nicht zu erwarten. Ausgehend von einem Nettoeinkommen von 1.743,25 € (vgl. Bescheid vom 20. Januar 2005) ergebe sich unter Berücksichtigung der Freibeträge nach § 1 Abs 2 Alg II-V kein anrechenbares Einkommen.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 15. Oktober 2007 abgelehnt. Im vorliegenden Fall komme nur § 9 Abs 2 SGB II zur Anwendung. Zwar bestünden verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere angesichts des Umstands, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Möglichkeit bestehe, die in § 9 Abs 2 SGB II inzidenter geregelte Unterstützungserwartung zu widerlegen. Diese Bedenken berechtigten das Gericht jedoch nicht, sich in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die gesetzliche Vorschrift hinwegzusetzen.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin noch im selben Monat Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragsgegnerin ist im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu erbringen.
Nach § 86 b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (dh ein nach der Rechtslage gegebener An...