Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versorgung mit dem Arzneimittel Zolgensma® im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. medizinische Erforderlichkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Versorgung mit Zolgensma® im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes setzt auch nach der Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) voraus, dass glaubhaft gemacht wird, dass die Behandlung im Einzelfall medizinisch erforderlich und von den behandelnden Ärzten beabsichtigt ist. Der alleinige Behandlungswunsch des Versicherten reicht nicht aus.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 5. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für das Arzneimittel Zolgensma zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die am H. 2019 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin als Familienversicherte gesetzlich krankenversichert. Nach dem Inhalt des Arztbriefes des Universitätsklinikums I. (J.) vom 12. November 2019 wurde bei ihr am 6. November 2019 eine Spinale Muskelatrophie (SMA) Typ 1 diagnostiziert. Die SMA ist eine Erbkrankheit, die zur Schädigung und zum fortschreitenden Verlust der Nervenzellen führt, die Muskelbewegungen steuern (Motoneuronen). Die Erkrankung tritt etwa bei einem von 10.000 Neugeborenen auf. Krankheitsursache ist der Verlust oder die Veränderung des Survival Motor Neuron 1 (SMN1). Infolge der Schädigung unterbleibt die Bildung eines Proteins, welches für die Funktion der Motoneuronen erforderlich ist. Hierdurch stellt sich ein fortschreitender Muskelschwund ein. Bei der spinalen Muskelatrophie Typ 1 (infantile spinale Muskelatrophie) handelt es sich um eine schwere Form der Erkrankung, die bereits in den ersten Lebensmonaten auftritt. Sie führt zu Bewegungsstörungen und Beeinträchtigungen der Atmung und führt unbehandelt häufig in den ersten zwei Lebensjahren zum Tode.
Bei der Antragstellerin wurde eine Behandlung mit dem Arzneimittel Spinraza (Nusinersen) eingeleitet. Dieses Arzneimittel wurde im Mai 2017 in der europäischen Union zur Behandlung von SMA zugelassen. Durch das J. wird es bei der Antragstellerin im stationären Setting eingesetzt. Rein vorsorglich und im Bewusstsein der erheblichen Kosten von aktuell 95.397,34 € pro Zyklus informierte das J. die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25. November 2019 über den Einsatz des Medikamentes unter Hinweis auf die Kostentragung der Antragsgegnerin und das Ergebnis der Entgeltverhandlungen 2017. Mit Bescheid vom 2. Dezember 2019 bewilligte die Antragsgegnerin im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Kostenübernahme für das Arzneimittel Palivizumab zunächst bis zum 30. April 2020.
Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2019 beantragte die Antragstellerin über ihren Bevollmächtigten die Kostenübernahme mit dem seinerzeit nicht zugelassenen Arzneimittel Zolgensma. Dieses Medikament wurde im Mai 2019 in den USA für seltene Erkrankungen mit der Indikation zur Behandlung von Kindern unter zwei Jahren mit SMA mit Mutation beider Allele des SMN 1-Gens zugelassen. Hiernach erfolgte eine Zulassung in Japan. Im Verlauf des europäischen Zulassungsverfahrens hat die europäische Arzneimittelagentur (european medical agency, EMA) im März 2020 die Zulassung empfohlen, am 18. Mai 2020 wurde das Medikament von der EMA zugelassen. Zum damaligen Zeitpunkt lag sie noch nicht vor.
Für die Antragstellerin führte ihr Bevollmächtigter aus, dass sich mit dem bisher eingesetzten Arzneimittel Spinraza die Leiden zwar lindern ließen, der Tod jedoch nur eine begrenzte Zeit hinausgezögert würde. In den meisten Fällen trete der Tod in den ersten beiden Lebensjahren durch Ateminsuffizienz oder Infektion ein.
Die Antragsgegnerin zog zunächst eine Grundsatzstellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) SEG 6, Sozialmedizinische Expertengruppe Arzneimittelversorgung mit Stand Juli 2019 bei. Zugleich beauftragte sie den MDK mit der sozialmedizinischen Einzelfallbegutachtung. Mit Gutachten vom 17. Dezember 2019 gelangte Dr K. zu dem Ergebnis, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Import des Arzneimittels zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht empfohlen werde. Es stehe eine zugelassene Alternative zur Verfügung. Eine Unterlegenheit der zugelassenen Therapie mit Spinraza sei nicht durch direktvergleichende Studien belegt. Es liege auch keine ärztliche Indikationsstellung bzw ein ärztlicher Antrag für die Therapie vor. Dem Ambulanzbrief des J. vom 12. November 2019 sei zu entnehmen, dass „in der nächsten Woche“ die stationäre Einleitung zur Behandlung mit Nusinersen erfolge. Beide Elternteile seien über die aktuellen Therapiemöglichkeiten informiert worden. Eine Behandlung mit Zolgensma werde nicht erwähnt.
Mit Bescheid vom 2. Januar 2020 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme für eine Behandlung mit Zolgensma ab. Zur Begründung stützte sie sich auf die Ausführungen des MDK, wonach ein...