Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Abgrenzung von Einkommen und Vermögen. Zuwendung aus fremder Lebensversicherung. einmalige Einnahme
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB 2 sind die aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens) und des Bundessozialgerichts (zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe) entwickelten Grundsätze übertragbar. Danach ist Einkommen alles das, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraumes wertmäßig dazu erhält, Vermögen das, was er bei Beginn eines Zahlungszeitraumes bereits hat ("Zuflusstheorie").
2. Bei einer Zuwendung aus der Lebensversicherung eines Dritten handelt es sich um Einkommen, nicht um Vermögen. Anders als bei einem Leistungsempfänger, der seine (eigene) Lebensversicherung kündigt, handelt es sich bei der Zuwendung nicht um eigene, sondern um von einem Dritten angesparte Mittel. Vor dem Zufluss handelt es sich nicht um Mittel des Begünstigten, so dass eine sogenannte Vermögensumschichtung nicht vorliegt.
3. Bei der Zuwendung aus der Lebensversicherung eines Dritten handelt es sich um eine einmalige Einnahme iS des § 2 Abs 3 AlgIIV. Eine Einschränkung entsprechend den bis Ende 2004 geltenden Vorschriften des Arbeitsförderungsrechts dahingehend, dass als einmalige Einnahmen iS des § 2 Abs 3 AlgIIV nur diejenigen gelten, die aus besonderen normativen Gründen auf einen größeren Zeitraum als den Monat des Zuflusses zu verteilen sind, wie zB Sonderzuwendungen, Gratifikationen, einmaliges Arbeitsentgelt, Eigenheimzulagen oder Nachzahlungen von Sozialleistungen, ist weder dem Verordnungstext noch den Verordnungsmaterialien zu entnehmen.
Orientierungssatz
Eine analoge Anwendung von § 84 Abs 2 SGB 12 scheidet mangels planwidriger Regelungslücke aus.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 8. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Leistungen aus einer Lebensversicherung des verstorbenen Partners der Antragstellerin zu 1. im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die 1954 geborene geschiedene polnische Antragstellerin zu 1. lebt mit ihren im September 1985 und Juni 1995 geborenen Töchtern I., die eine Berufsausbildung absolviert und nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehört, und J. - der Antragstellerin zu 2. - in einem gemeinsamen Haushalt in L. Im Jahr 2004 bezogen sie Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Im März 2005 beantragten die Antragstellerinnen Leistungen nach dem SGB II, die die im Namen und im Auftrag des Antragsgegners handelnde Stadt K. zunächst für den Zeitraum April bis Juli 2005 bewilligte. Für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum vom 1. August 2005 bis zum 31. März 2006 gewährte die Stadt K. Leistungen in Höhe von 568,00 € monatlich, mit Änderungsbescheid vom 30. November 2005 erhöhte sie die Leistungen ab November 2005 auf 663,00 € monatlich.
Im November 2005 zeigte die Antragstellerin zu 1. an, dass sie in absehbarer Zeit eine Zahlung aus einer Lebensversicherung ihres im Mai 2005 verstorbenen Freundes in Höhe von ca 7.000,00 bis 8.000,00 € erwarte, ob und wann, wisse sie allerdings nicht. Im Januar 2006 teilte sie mit, dass ihr ein Betrag von 7.463,97 € ausgezahlt worden sei. Einen entsprechenden Verrechnungsscheck erhielt sie mit Schreiben vom 19. Januar 2006.
Mit Bescheid vom 13. Februar 2006 teilte die Stadt K. den Antragstellerinnen mit, dass sie den Bescheid vom 30. November 2005 aufhebe und die Leistung ab März 2006 neu festsetze. Für den Monat März 2006 bewilligte sie Leistungen in Höhe von 71,00 €. Der Antragstellerin zu 1. sei aus der Lebensversicherung des Herrn L. ein Betrag von 7.463,97 € gezahlt worden. Das Geld sei den Antragstellerinnen im Februar 2006 zugeflossen und werde nach den gesetzlichen Bestimmungen ab 1. März 2006 in 12 monatlichen Raten zu je 622,00 € auf die laufenden Leistungen angerechnet. Die Antragstellerinnen blieben weiterhin im SGB II-Bezug und deshalb krankenversichert. Im Widerspruch vom 23. Februar 2006 vertraten die Antragstellerinnen die Auffassung, dass es sich bei der Versicherungsleistung nicht um berücksichtigungsfähiges Einkommen, sondern um Vermögen handele, das unterhalb der Freibeträge liege. Hilfsweise trugen sie vor, dass, wenn man von einer einmaligen Einnahme ausginge, die Leistung nach § 84 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) anrechnungsfrei sei. Im Übrigen hätten sie einen Großteil des Geldes bereits zur Schuldentilgung und für notwendige Anschaffungen ausgegeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2006 wies der Antragsgegner den Widerspruch unter Hinweis auf § 11 SGB II und § 2 Abs 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) zurück. ...