Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen. weiterer notwendiger Lebensunterhalt. Barbetrag. abtrennbarer Streitgegenstand. Ausschluss bei Bezug von Blindenhilfe oder gleichartigen Leistungen. Landesblindengeld. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf den Barbetrag bei vollstationärer Unterbringung nach § 27b Abs 2 SGB XII ist ein abtrennbarer Streitgegenstand (vgl BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 10/06 R = BSGE 101, 217 = SozR 4-3500 § 133a Nr 1, RdNr 12).
2. Leistungen nach den Blinden- und Pflegegeldgesetzen der Länder sind gleichartige Leistungen im Sinne des § 72 Abs 4 S 3 SGB XII.
3. Durchgreifende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 72 Abs 4 SGB XII, insbesondere an der Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG), bestehen nicht.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 3. September 2020 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein erstinstanzliches Klageverfahren, in dem die Einstellung der Gewährung des sog. Barbetrags bei stationärer Unterbringung ab März 2019 streitbefangen ist.
Die 1933 geborene, pflegebedürftige (zunächst Pflegegrad 3, ab Mai 2019 Pflegegrad 4) und schwerbehinderte (GdB 100, Merkzeichen G, RF) Klägerin bezog Mitte 2018 ein Einzelzimmer in der Pflegeeinrichtung „D.“ in E., für das ein monatliches Heimentgelt von 2.562,27 € zzgl. eines Komfortzimmerzuschlags von zunächst 600,00 €, später 300,00 € zu entrichten ist. Vor dem Einzug in die Einrichtung wohnte sie gemeinsam mit ihrem 1936 geborenen Ehemann in einer 71 qm großen Dreizimmerwohnung, für die ihr Ehemann (weiterhin) monatlich eine Grundmiete von 350,69 € zzgl. 66,60 € Betriebskosten sowie einen Abschlag für Wasser/Abwasser von 24,00 € zu zahlen hat; für eine Garage fällt zusätzlich ein Mietzins von 35,00 € an. Neben den an die Einrichtung gezahlten Pflegeleistungen (von monatlich 1.262,00 € bzw. ab Mai 2019 1.775,00 €) bezieht die Klägerin eine Altersrente der DRV Braunschweig-Hannover in monatlicher Höhe von 310,37 € ab Juli 2018 bzw. 324,28 € ab Mai 2019 (jeweils netto). Ihr Ehemann ist Bezieher einer Altersrente der DRV Braunschweig-Hannover mit einem monatlichen Zahlbetrag von 1.491,05 € ab Juli 2018 bzw. 1.536,47 € ab Juli 2019 sowie einer Rente der Bremer Straßenbahn AG von 442,49 € je Monat. Nachdem der Beklagte einen Vermögensstand der Eheleute im Juli 2018 von etwa 15.500,00 € (Giro- und Sparkonten) ermittelt hatte (Bl. 83 d. VA), teilte er der vertretungsbefugten Tochter der Klägerin (Generalvollmacht vom 24.3.2018) mit, dass das den Freibetrag von 10.000,00 € überschießende Vermögen (5.805,51 €) noch bis Oktober 2018 zur Deckung der Heimkosten ausreiche (Schreiben vom 13.9.2018).
Ab dem 1.11.2018 bewilligte er der Klägerin unter Anrechnung der Pflegeleistungen (1262,00 €) und eines Kostenbeitrags der Eheleute (811,64 €) Hilfe zur Pflege in monatlicher Höhe von 442,47 € sowie einen Barbetrag von 112,32 € je Monat (Bescheid des Beklagten vom 4.10.2018). Auf Grundlage der mit dem Einrichtungsträger geschlossenen Vereinbarungen (§ 75 SGB XII) berücksichtigte er hierbei Kosten für eine vollstationäre Pflege bei Pflegegrad 3 in Höhe von 2.403,79 € je Monat. Der auf die Übernahme der zusätzlichen Kosten für das Einzelzimmer der Klägerin u.a. wegen gesundheitlicher Gründe (Demenzerkrankung; vgl. Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin F., E., vom 20.12.2018) gerichtete Antrag hatte keinen Erfolg (Bescheid des Beklagten vom 10.12.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.4.2019).
Nachdem der Klägerin bereits im Januar 2019 Blindengeld nach dem Niedersächsischen Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde (Nds. BlindGeldG) für die Zeit ab Dezember 2018 in monatlicher Höhe von 187,50 € (wegen des stationären Aufenthalts der halbierte Betrag, vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nds. BlindGeldG) bewilligt worden war (Bescheid des Beklagten vom 22.1.2019), machte der Beklagte für die Zeit bis Februar 2019 (intern) einen Kostenerstattungsanspruch geltend und bewilligte der Klägerin ab 1.3.2019 Hilfe zur Pflege in monatlicher Höhe von 444,53 €, in dem er den Pflegeleistungen (1.262,00 €) und dem Kostenbeitrag der Eheleute (811,64 €) höhere Einrichtungskosten von 2.518,17 € gegenüberstellte (Bescheid des Beklagten vom 29.1.2019). Ein Barbetrag wurde wegen des Bezugs des Blindengeldes und des Ausschlusses nach § 72 Abs. 4 SGB XII nicht gewährt. Der hiergegen erhobene Widerspruch hatte in der Sache keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23.4.2019).
Gegen die Einstellung des Barbetrages ab März 2019 richtet sich die am 16.5.2019 beim Sozialgericht (SG) Hannover erhobene Klage, für die die Klägerin PKH begehrt. Noch vor Klageerhebung hob der Beklagte die Bewilligung von Hilfe zur Pflege für d...