Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Sanktionsbescheid. Absenkung des Arbeitslosengeld II. Nichtabschluss Eingliederungsvereinbarung. Rechtsfolgenbelehrung. Zeitpunkt Eintritt Absenkung. Heranziehung durch Verwaltungsakt. Verfassungswidrigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gemäß § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG ist regelmäßig dann anzuordnen, wenn sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist.

2. Voraussetzung für eine Absenkung des Arbeitslosengeld II (§ 31 SGB 2) ist, dass dem Hilfebedürftigen vor der Pflichtverletzung konkret, eindeutig, verständlich, verbindlich und rechtlich zutreffend vor Augen geführt worden ist, welche Folgen ihm im Falle der Pflichtverletzung drohen. Nicht hinreichend sind in der Vergangenheit erteilte allgemeine Belehrungen.

3. Eine Absenkung tritt mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung feststellt, folgt. Datenverarbeitungsprobleme beim Leistungsträger sind nicht geeignet, eine Abweichung vom Gesetzestext zu rechtfertigen.

4. Macht ein Leistungsträger nach dem SGB 2 von der Möglichkeit Gebrauch, eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt festzulegen, darf eine Sanktionsregelung gemäß § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst a SGB 2 nicht getroffen werden. Sie verstößt gegen den verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

 

Orientierungssatz

Der Widerspruch gegen einen Absenkungsbescheid nach § 31 SGB 2 hat gem § 39 Nr 1 SGB 2 keine aufschiebende Wirkung.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. September 2006 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. August 2006 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um einen Bescheid, mit dem die Leistungen der Grundsicherung des Antragstellers für die Zeit von Oktober bis Dezember 2006 monatlich um 30 % der Regelleistung gekürzt wurden.

Der 1975 geborene Antragsteller bezieht laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Am 9. Juni 2006 sprach der Antragsteller bei der Antragsgegnerin vor. Dabei wurde ihm eine vorformulierte Eingliederungsvereinbarung (deren Text nicht aktenkundig ist und der von der später als Verwaltungsakt erlassenen Eingliederungsvereinbarung abweicht) vorgelegt. Der Antragsteller unterschrieb die Vereinbarung nicht, sondern wollte dies zuvor mit seinem Bevollmächtigten besprechen. Er erhielt die Eingliederungsvereinbarung mit der Aufforderung, sie bis Ende der nachfolgenden Woche wieder einzureichen, sonst würde die Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt erlassen und Sanktionen folgen. Am 16. Juni 2006 wandte der Bevollmächtigte sich schriftlich an die Antragsgegnerin und wies die Eingliederungsvereinbarung zurück. Ein persönlicher Ansprechpartner sei nicht genannt, die Eingliederungsvereinbarung sei in Nummer 1 zu unbestimmt, weil nicht klar sei, welcher konkrete Bereich der zeit- und ortsnahe Bereich sei, den der Antragsteller nur nach Absprache und Zustimmung des Ansprechpartners verlassen dürfe. Es sei auch rechtswidrig zu verlangen, an jedem Werktag in der Wohnung erreichbar zu sein. Am 22. Juni 2006 bat er um Übermittlung einer ordnungsgemäßen Eingliederungsvereinbarung. Am 4. Juli 2006 sandte die Antragsgegnerin die “erforderliche„ Eingliederungsvereinbarung dem Antragsteller mit der Aufforderung zu, diese bis zum 18. Juli 2006 zu unterschreiben, sonst würde die Vereinbarung als Verwaltungsakt erlassen. Darüber hinaus drohte sie in diesem Schreiben Sanktionen wegen der Weigerung der Unterschrift an. Mit Schreiben vom 12. Juli 2006 wies der Bevollmächtigte des Antragstellers die Eingliederungsvereinbarung zurück, er zweifelte die Richtigkeit der Passage der Ortsanwesenheit an und bemängelte das Fehlen der Benennung eines persönlichen Ansprechpartners.

Mit Schreiben vom 31. Juli 2006 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu ihrer Absicht an, das Arbeitslosengeld II (Alg II) wegen der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben abzusenken. Er habe sich am 12. Juli 2006 trotz Belehrung über die Rechtsfolgen geweigert, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen. Der Antragsteller erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14. August 2006. Dem Anhörungsschreiben war der Gesetzestext von § 31 Abs 1 Nr. 1a SGB II beigefügt. Ob der Antragsteller darüber hinaus eine Rechtsfolgenbelehrung erhalten hat, ist nicht dokumentiert.

Am 17. August 2006 erging die Eingliederungsvereinbarung in Gestalt eines Verwaltungsaktes. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Antragsgegnerin eingeräumt, dass der Text dieser Eingliederungsvereinbarung gegenüber der dem Antragsteller ursprünglich ange...

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