Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Überprüfungsverfahren. zuständige Behörde. erlassende Behörde. Unbeachtlichkeit eines Wechsels der örtlichen Zuständigkeit. Asylbewerberleistung. Analogleistung. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Ausweispapieren. keine Aufforderung zur Mitwirkung durch die Ausländerbehörde. Wegfall der Bedürftigkeit. maßgeblicher Zeitpunkt. Antragstellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Behörde, die den ursprünglichen im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB 10 zu überprüfenden Verwaltungsakt erlassen hat, ist nur dann nach § 44 Abs 3 SGB 10 nicht mehr für die begehrte Änderung zuständig, wenn sie entweder zu keinem Zeitpunkt zuständig war oder ihre Zuständigkeit nach Erlass des Verwaltungsaktes, um dessen Beseitigung es geht, entfallen ist (zum Beispiel wegen Wegfalls der sachlichen Zuständigkeit). Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit ist insoweit unbeachtlich.

2. Für die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts eines anspruchsvernichtenden Bedürftigkeitswegfalls bei einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB 10 (vgl hierzu BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R = BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20) ist nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen und wegen des Gebots des effektiven Rechtsschutzes auf den Zeitpunkt der Antragstellung iS des § 44 Abs 4 S 3 SGB 10 bzw bei einem von Amts wegen eingeleiteten Verwaltungsverfahren auf das Datum der Einleitungsverfügung abzustellen.

 

Orientierungssatz

Die fehlende Verlängerung eines Ausweispapieres oder das Unterlassen der Neubeantragung ist jedenfalls so lange kein rechtsmissbräuchliches Verhalten iS des § 2 Abs 1 AsylbLG, bis die Ausländerbehörde konkret zur Mitwirkung auffordert.

 

Nachgehend

BSG (Vergleich vom 28.05.2015; Aktenzeichen B 7 AY 3/14 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 21. Mai 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2011 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. November 2009 unter Änderung diese Zeit betreffender Bewilligungen Leistungen nach § 2 AsylbLG unter Anrechnung bereits erhaltener Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG zu zahlen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Verurteilung der Beklagten, unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides vom 23. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2011 auf seinen Antrag vom 10. März 2010 gemäß § 44 SGB X die Bewilligungen von Leistungen gemäß § 3 AsylbLG für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. November 2009 zu ändern und ihm für diesen Zeitraum Leistungen gemäß § 2 AsylbLG unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen zu zahlen.

Der am F. 1984 in Syrien geborene Kläger reiste 1999 mit seinen Eltern und Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebte bis November 2009 in Lüdenscheid. Sein Asylantrag wurde abgelehnt (rechtskräftig seit 15. Februar 2002). Seither war der Aufenthalt des Klägers geduldet. Am 16. November 2009 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit § 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG (sog. Altfallregelung), am 19. August 2013 eine Niederlassungserlaubnis. In den für den Kläger seit seiner Volljährigkeit getrennt geführten Ausländerakten finden sich keine Hinweise, dass der Kläger zu einer ausländerrechtlichen Mitwirkungshandlung (z. B. Passbeschaffung) aufgefordert worden ist. Nach einem Vermerk vom 22. Mai 2007 (Bl. 69 der Ausländerakten) sind vom Kläger “laut Akte bisher keine weiteren Mitwirkungspflichten gefordert (außer PEP-Antrag ausfüllen in 2003)„ worden. Das entsprechende Formular für Passersatzpapier (PEP) hat der Kläger, soweit ersichtlich, zutreffend ausgefüllt und unterschrieben, allerdings sind die Fragen nach der Nummer der Zivilregistrierung nicht ausgefüllt. In der Folgezeit sind seitens der Ausländerbehörde keine Aufforderungen an den Kläger ergangen, vielmehr hat dieser selber mehrere Fahrten nach Berlin zur syrischen Botschaft unternommen und schließlich im November 2009 einen syrischen Pass erhalten.

Der Kläger bezog bis November 2007 von der Beklagten Leistungen nach dem AsylbLG, jedenfalls ab August 2002 nach § 3 AsylbLG. Bewilligungsbescheide sind in den Akten der Beklagten nicht zu finden; den Protokollbögen ist zu entnehmen, dass der Kläger während der gesamten Zeit neben hier nicht streitigen anteiligen Leistungen für Unterkunft und Heizung monatlich Barleistungen in Höhe von 40,90 € und Leistungen in Form von Gutscheinen in Höhe von 149,69 € erhalten hat. Außerdem hat er etliche Leistungen nach den §§ 4, 6 AsylbLG erhalten. Mit Bescheid vom 28. November 2009 wurde dem Kläger für den Monat Dezember 2009 ein Betrag von 0,00 € bewilligt, seither bezog er keine Leistungen nach dem AsylbLG mehr.

Im Wintersemester 2009...

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