Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Versicherungspflicht bzw -freiheit in der Arbeitslosenversicherung. Facharzt für Anästhesie. Honorararzt. Honorararztvertrag. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. keine Begründung von Freiheiten im Sinne einer unternehmerischen Betätigung
Leitsatz (amtlich)
Eine inhaltliche Beschränkung der geschuldeten Arbeitsleistungen eines Facharztes für Anästhesie namentlich im Sinne einer Beschränkung auf kurative ärztliche Leistungen am Patienten steht der Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen, solange keine Freiheiten im Sinne einer unternehmerischen Betätigung begründet werden.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 11. Mai 2016 aufgehoben.
Die Klage gegen die Festsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. im Zeitraum November 2008 bis Dezember 2010 im Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013 und die Klage auf Feststellung des Nichtbestehens einer Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung für diese Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. werden abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen Kosten der Beigeladenen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1.
Die Klägerin ist eine GmbH. Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb der J.. Zur Klinik gehört auch eine Abteilung für Anästhesie, die von einem Chefarzt geleitet wird.
In dieser Abteilung für Anästhesie wurde der zu 1. beigeladene Facharzt für Anästhesie in folgenden Zeiträumen an einzelnen Tagen eingesetzt:
|
Zeitraum |
Gesamtentgelt |
Nacherhobene Versicherungs-beiträge |
November bis Dezember 2008 |
5.547,50 |
183,08 |
Januar bis März 2009 |
4.450,00 |
135,74 |
Juni bis Oktober 2009 |
9.127,50 |
278,42 |
Januar bis August 2010 |
16.063,25 |
642,95 |
Oktober bis Dezember 2010 |
7.100,00 |
239,97 |
|
|
|
Summe: |
42.288,25 |
1.480,16 |
Die Klägerin und der Beigeladene zu 1. hatten zuvor überwiegend jeweils schriftliche Rahmenverträge abgeschlossen, in denen sich letzterer “als Honorarkraft„ zur Ableistung von Tagdiensten und Bereitschaftsdiensten “nach Dienstplan„ verpflichtet hatte. Als Gegenleistung war ein nach Arbeits- bzw. Bereitschaftsstunden bemessenes Entgelt in Höhe von überwiegend 85 bis 95 € vereinbart worden.
Dabei waren zuvor jeweils (fern-)mündliche Einzelabsprachen über die konkreten vom Beigeladenen zu 1. im Rahmen der Abteilung für Anästhesie wahrzunehmenden Tagdienste bzw. Bereitschaftsdienste getroffen worden. Der Beigeladene zu 1. hat diesbezüglich in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Klägerin ihren Personalbedarf angemeldet habe und er dann - je nach Verfügbarkeit - eine Zusage erteilt oder auch nicht erteilt habe. Im Rahmen seiner Tätigkeit für die Abteilung Anästhesie der Klägerin hat der Beigeladene zu 1. auch Notarzteinsätze wahrgenommen; er hat in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die Anästhesie tagsüber das Notfallfahrzeug besetzt habe.
Bei Notarzteinsätzen trug der Beigeladene zu 1. eine von ihm persönlich zu beschaffende “Schutzausrüstung„ in Form der geeigneten Schutzbekleidung, Stiefel und eines Schutzhelms.
Über seine Einsätze hat der Beigeladene zu 1. der Klägerin Rechnungen nach Maßgabe der jeweils vereinbarten Stundensätze gestellt. Diese Rechnungen hat die Klägerin während des laufenden Rechtsstreits vernichtet.
In vergleichbarer Weise war und ist der Beigeladene zu 1. als Honorararzt auch für weitere Auftraggeber tätig geworden.
Im Rahmen einer nach § 28p SGB IV durchgeführten Betriebsprüfung gelangte die Beklagte zu der Einschätzung, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. - ebenso wie die Tätigkeit weiterer von der Klägerin herangezogener sog. Honorarärzte - im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse verrichtet worden sei. Sie zog daraufhin die Klägerin mit Bescheid vom 10. Dezember 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013 zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen in einer Gesamthöhe von 50.404,92 € heran. Aufgrund der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. in den vorstehend genannten Zeiträumen wurden die bereits aufgeführten Sozialversicherungsbeiträge festgesetzt. Da die Beklagte von einer Versicherungsfreiheit im Rahmen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung ausging, hat sie aufgrund der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. lediglich Beiträge nach dem Recht der Arbeitsförderung (sowie für Teilzeiträume die sog. Umlage U2 nach dem LFZG bzw. AAG für Mutterschaftsaufwendungen und die Umlage nach § 358 SGB III) festgesetzt; wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Bescheide Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die von der Klägerin am 9. Dezember 2013 (S 33 R 728/13) erhobene (und nachfolgend mit Schriftsatz vom 3...