Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Ermittlung der Pflegestufe. Hilfebedarf eines pflegebedürftigen Kindes. Begutachtungs-Richtlinien (BRi) idF vom 11.5.2006. Gültigkeit. Zeitkorridor. Ermittlung eines Zwischenwertes zwischen dem Minimal- und Maximalwert des Hilfebedarfs gesunder Kinder einer Altersstufe

 

Orientierungssatz

1. Die genaue Ermittlung eines sog Zwischenwertes zwischen dem Minimal- und dem Maximalwert des Hilfebedarfs gesunder Kinder einer Altersstufe (vgl BSG vom 13.5.2004 - B 3 P 7/03 R = SozR 4-3300 § 23 Nr 2) erscheint auch unter Geltung der Begutachtungs-Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen (BRi) idF vom 11.5.2006 sachgerecht.

2. Die Begutachtungs-Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen (BRi) idF vom 11.5.2006 sind auch vor ihrem Inkrafttreten am 1.9.2006 für die Beurteilung des Pflegebedarfs heranzuziehen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 15.03.2012; Aktenzeichen B 3 P 1/11 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 16. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Leistungen entsprechend der Pflegestufe II für die Zeit vom 01. Oktober 2003 bis 30. Juni 2004 zustehen.

Der am 16.07.2002 geborene Kläger leidet unter einer schweren geistigen und körperlichen Behinderung (bei Zustand nach Frühgeburt in der 31. Schwangerschaftswoche und postnataler Hirnblutung mit posthämorrhagischem Hydrocephalus und Zustand nach Implantation einer Rickham-Kapsel) sowie einer generalisierten Epilepsie mit Grand Mal-Anfällen und epileptischem Syndrom in Form von Absencen. Er beantragte am 31. Oktober 2003 Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) durch die Pflegefachkraft L. am 04. März 2004 ein Gutachten über den Kläger. Darin wurde der Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 309 Minuten täglich eingeschätzt. Für den altersgerechten Hilfebedarf gesunder Kinder wurden 240 Minuten abgezogen, so dass 69 Minuten verblieben. Mit Bescheid vom 11. März 2004 bewilligte daraufhin die Beklagte dem Kläger Leistungen entsprechend der Pflegestufe I ab 01. Oktober 2003. Er erhob am 24. März 2004 dagegen Widerspruch, den er mit einem Pflegetagebuch sowie ausführlichen Erläuterungen zu dem aus Sicht der Klägerseite erforderlichen Hilfebedarf begründete. Am 04. November 2004 erstattete der MDK (Pflegefachkraft M.) ein weiteres Gutachten über den Kläger. Darin wurde der Hilfebedarf für die täglichen Verrichtungen der Grundpflege auf 333 Minuten eingeschätzt, wovon 165 Minuten für den altersgerechten Hilfebedarf gesunder Kinder abzuziehen waren. Es verblieben 168 Minuten. Mit Bescheid vom 23. November 2004 bewilligte daraufhin die Beklagte dem Kläger Leistungen entsprechend der Pflegestufe II ab 01.07.2004. Am 25. April 2005 begehrte er die Bewilligung höherer Leistungen. Der Kläger war nur bis zum 15. Juli 2005 Mitglied der Beklagten, anschließend wurde eine Mitgliedschaft bei der Pflegekasse der Betriebskrankenkasse N. begründet.

Am 07. November 2006 beantragte der Kläger die Überprüfung der bislang ergangenen Bescheide wegen der am 01. September 2006 in Kraft getretenen neuen Begutachtungsrichtlinie. Nach dieser Richtlinie seien die Zeiten, welche bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit von Kindern im Vergleich zu gesunden Kindern abgezogen würden, herabgesetzt worden. Mit Bescheid vom 04. Januar 2007 lehnte die Beklagte die nachträgliche Aufhebung der ergangenen Bescheide mit folgender Begründung ab: Die Begutachtungsrichtlinie in der Fassung vom 11. Mai 2006 finde erst ab 01. September 2006 Anwendung und könne daher nicht auf die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit für Zeiträume angewandt werden, die vor diesem Zeitpunkt lägen. In seinem Widerspruch vom 05. Februar 2007 vertrat er die Auffassung, es handele sich bei der Richtlinie um ein antizipiertes Sachverständigengutachten.

In einem weiteren Gutachten vom 26. Juni 2006 schätzte der MDK (Pflegefachkraft O.) den auf den Tag entfallenden Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 379 Minuten ein, wovon 135 Minuten für den altersgerechten Hilfebedarf von gesunden Kindern abzuziehen seien. Danach verblieben 244 Minuten. Die Pflegekasse der BKK N. bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 17. Januar 2007 dem Kläger Leistungen entsprechend der Pflegestufe III vom 16. Juli 2005 (Beginn der Mitgliedschaft) bis 31. Mai 2006 und fortlaufend mit (Widerspruchs-) Bescheid vom 09. März 2006 ab 01.06.2006. Am 17. November 2007 erstattete der MDK (Pflegefachkraft P.) für die Pflegekasse der BKK N. ein weiteres Pflegegutachten über den Kläger. Als zusätzliche Erkrankung wurde dort eine Harn- und Stuhlinkontinenz aufgeführt. Der tägliche Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege wurde auf 318 Minuten eingeschätzt, wovon 150 Minuten für den altergerec...

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