Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Beanstandung und Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge. Vier-Jahresfrist. Anwendung von Hemmungs- oder Unterbrechungstatbeständen. Ermessen des Rentenversicherungsträgers. Verfassungsmäßigkeit. Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
Im Interesse der vom Gesetzgeber angestrebten zeitnahen Umsetzung der Neuregelung ist die mit Wirkung zum 1. Januar 2008 eingeführte Regelung des § 26 Abs 1 S 3 SGB 4 auf alle zurückliegenden Beitragszahlungen jedenfalls dann anzuwenden, wenn nicht bereits vor ihrem Inkrafttreten ein Erstattungsantrag gestellt worden ist.
Orientierungssatz
1. Der Rentenversicherungsträger verfügt über kein Ermessen, welches ihm die Möglichkeit eines Absehens von den Rechtsfolgen des § 26 Abs 1 S 3 SGB 4 einräumen könnte (vgl BSG vom 29.7.2003 - B 12 AL 1/02 R = SozR 4-2400 § 27 Nr 1).
2. Auch die Grundsätze des intertemporalen Sozialrechts geben keinen Anlass, den zeitlichen Anwendungsbereich des § 26 Abs 1 S 3 SGB 4 in einem anderen Sinn zu interpretieren.
3. Gleichwohl darf die Vorschrift des § 26 Abs 1 S 3 SGB 4 nicht so verstanden werden, als dass von ihr nur solche Beiträge erfasst werden sollen, die erst nach ihrem Inkrafttreten entrichtet worden sind.
4. Weder ein Antrag nach § 7a SGB 4 noch ein Antrag nach § 28h Abs 2 SGB 4 auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status beinhaltet als solcher zugleich einen Antrag auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge (vgl LSG Stuttgart vom 21.1.2011 - L 4 KR 4672/10).
5. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 26 Abs 1 S 3 SGB 4. Namentlich werden weder Grundrechte missachtet noch schutzwürdiges Vertrauen unzulässigerweise enttäuscht.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der … 1951 geborene Kläger begehrt die Rückerstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der beklagte Rentenversicherungsträger führt das Rentenkonto des Klägers.
Der Kläger ist seit August 1993 in dem von seiner Ehefrau geführten Unternehmen, welches sich insbesondere mit der Herstellung und dem Vertrieb von Reinigungs- und Poliermitteln befasst, beruflich tätig. Da die Ehefrau gegenüber der AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen - als der zuständigen Einzugsstelle seinerzeit die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit durch ihren Ehemann angemeldet hatte, sind für diesen in den folgenden Jahren regelmäßig Beiträge zur Sozialversicherung und damit auch zur Rentenversicherung abgeführt worden.
Mit Anwaltsschreiben vom 22. November 2006 beantragte der Kläger bei der Einzugsstelle die Klärung seines sozialversicherungspflichtigen Status und machte geltend, dass er Mitunternehmer des nach außen allein von seiner Ehefrau geführten Unternehmens sei. Er sei Eigentümer des Betriebsgrundstückes und habe auch in ganz erheblichem Umfang Einzelbürgschaften für Firmenkredite übernommen. Nachdem im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren zunächst ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt worden war, hat das Sozialgericht Aurich auf die frühere gegen die Einzugsstelle gerichtete Klage des Klägers (S 8 KR 56/07) mit Urteil vom 28. Mai 2008 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass der Kläger seit August 1993 "nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt" gewesen sei. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden.
Aufgrund dieses Urteils richteten der Kläger und seine Ehefrau im Juli 2008 ein Beitragserstattungsersuchen an die Einzugsstelle. Dabei erklärten sie namentlich, dass die zu Unrecht gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung nicht als Beiträge zur freiwilligen Versicherung beim Rentenversicherungsträger verbleiben sollten und dass auf die weiteren Rechte nach § 202 SGB VI sowie auf einen durch vorausgegangene Arbeitgeberprüfungen ggfs. vermittelten Bestandsschutz verzichtet werde.
Unter Hinweis auf eine in Teilen bereits eingetretene Verjährung der Erstattungsforderung leitete die Einzugsstelle diesen Antrag hinsichtlich der Rentenversicherungsbeiträge zur abschließenden Bearbeitung an die Beklagte weiter.
Im Oktober 2008 trat der Kläger seinen Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile an den für ihn entrichteten Rentenversicherungsbeiträgen an die beigeladene Landessparkasse zu Oldenburg ab.
Mit Bescheid vom 11. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2009 entsprach die Beklagte dem Erstattungsbegehren des Klägers nur hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile für die für den Beitragszeitraum 1. Dezember 2003 bis 31. Mai 2008 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge und sprach dem Kläger diesbezüglich einen Erstattungsbetrag in Höhe von 18.833,79 € zu. Für die vorausgegangenen Tätigkeitszeiträume vom 1. August 1993 bis zum 30. November 2003 lehnte sie hingegen eine Beitragserstattung insbesondere auch bezogen auf die Arbeitnehmeranteile mit de...